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Bestialisch

Titel: Bestialisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.A. Kerley
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das Ihre Eltern?«
    Sie musste wohl erst umschalten und antwortete nicht gleich. »Am Tag ihrer Eheschließung im Jahr 1963. Myrtle und Johnny an den Niagarafällen.«
    »Ihr Vater war auch Polizist.«
    Sie betrachtete das Foto. »Kommt mir so vor, als wäre jeder, den ich als Kind kannte, schon Cop gewesen oder wurde es später. Zumindest alle Männer. Und auch eine Handvoll Frauen, die allerdings größtenteils in der Verwaltung arbeiteten.«
    »Haben Sie Geschwister? Ach, Sie haben ja schon erwähnt, dass Sie ein Einzelkind sind. Dann mussten Sie wohl den Stab übernehmen, was?«
    Sie zögerte einen Moment lang. »War meine Entscheidung. Allein meine.«
    »Klar doch.«
    »Solange ich denken kann, wollte ich nichts anderes werden.«
    Von einer Minute auf die andere hatte sich etwas verändert. Nichts Gravierendes, doch es kam mir so vor, als lauere in der Zimmerecke plötzlich ein schwereloser Schatten, der das Licht im Raum etwas dimmte. Sie wandte sich von der Wand ab und lächelte gezwungen.
    »He, es sieht ganz so aus, als ginge es Ihnen wieder besser.«
    Ich hielt das Bier hoch. »Genau was der Doktor verordnet hat. Hören Sie, ich gehe jetzt besser ins Hotel. Ich studiere gerade Ridgecliffs Akten. Vielleicht gelingt es mir ja herauszufinden, von wo aus er operiert.«
    »Ist gut, dass Sie endlich Ihren Panzer abgelegt haben und uns unterstützen. Soll ich Sie ins Hotel fahren? Ich kann Sie …«
    Ich winkte ab und schüttelte den Kopf. »Ich denke, ein bisschen frische Luft wird mir guttun. Ich gehe lieber zu Fuß und schau mich mal in der Gegend um. Danke, dass Sie Mitleid mit einem Typen hatten, der an einer Straßenlaterne lehnte, Lieutenant.«
    Ich hatte schon einen halben Block zurückgelegt, ehe mir etwas auffiel. Kaum hatte ich Alice Folgers Haus betreten, hatte ich eine halbe Stunde lang keinen einzigen Gedanken an unseren Fall verschwendet. Und ihr war es vermutlich genauso ergangen.
    Außerdem war dies die netteste halbe Stunde gewesen, die mir seit meiner Ankunft in New York vergönnt war.

KAPITEL 19
    An diesem Abend saß ich in meinem Hotelzimmer, dachte an die kurze Zeit, die ich mit einer quicklebendigen, glücklichen Alice Folger verbracht hatte, und musste mir eingestehen, dass ich mich zu ihr hingezogen fühlte. Ich hatte doch tatsächlich Schmetterlinge im Bauch, was ich im Augenblick überhaupt nicht gebrauchen konnte.
    Seit etwa einem Jahr traf ich mich des Öfteren mit Clair Peltier, der Leiterin der Mobilen Abteilung des Forensischen Instituts von Alabama. Das Feuer, das zu Anfang heftig gelodert hatte, war mittlerweile nur noch ein leises Glühen, nachdem uns klar geworden war, dass uns nicht Liebe, sondern Kameradschaft verband. Wir hatten uns zuerst körperlich näherkommen müssen, um zu begreifen, dass wir dazu auserkoren waren, Freunde zu sein. Esoteriker würden uns vermutlich als Seelenverwandte bezeichnen, die sich in früheren Leben mehrfach begegnet waren und sich nun allein mit einem Blick oder einer Geste verständigen konnten.
    Vor ein paar Stunden hatte ich mit ihr telefoniert und sie gebeten, Waltz’ Mann von der New Yorker Spurensicherung zu kontaktieren. Unser Gespräch hatte mir wieder einmal vor Augen geführt, wie entspannt unser Umgang war und wie gut mir diese Beziehung momentan tat.
    Und dennoch fing mein Herz an zu rasen, wenn ich an Folger dachte. Da es höchste Zeit war, den Kopf freizubekommen und mich körperlich mal richtig zu verausgaben, zog ich die Laufschuhe und eine kurze Hose an. Ein paar Minuten lang konzentrierte ich mich auf meinen Atem und versuchte, ganz ruhig zu werden wie vorhin in Alice Folgers Haus. Danach verließ ich das Hotel und lief Richtung Süden. Als ich das Tempo erhöhte, zeigte die Luft, die über meine Haut strich, dieselbe Wirkung wie ein kalter Wasserstrahl.
    Meine Knochen murrten just in dem Moment, wo ich kurzatmig wurde. Irgendwo im East Village oder auf der Lower East Side bog ich in eine enge Straße, stützte die Hände auf die Knie und japste nach Luft, als mein Handy klingelte.
    »Ja-a?«, fragte ich atemlos und klang plötzlich wie Cluff.
    »Ryder? Sind Sie das? Ich habe nichts verstanden.«
    »Folger?«, keuchte ich.
    »Sind Sie okay? Sie hören sich …«
    »Bin gejoggt. Außer Atem. Sekunde.«
    »Wo stecken Sie?«
    »Irgendwo … südlich vom Hotel. Bin kreuz und quer gelaufen. Keine Ahnung, wo ich bin.«
    »Gehen Sie zum nächsten Straßenschild. Schnell.«
    Halb laufend, halb humpelnd näherte ich mich der

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