Bestialisch
seit wir uns gesprochen haben, und nun wollte ich mal nachfragen, ob Sie in den Akten, die ich Ihnen schickte, irgendwas gefunden haben. Und natürlich wüsste ich auch gern, ob Sie eventuell einen Fall bearbeiten, der mit den anderen in Zusammenhang steht. Na, eigentlich ist für Leute wie mich ja alles, was Sie tun, interessant. Wie auch immer, melden Sie sich doch mal bei mir. Und falls Sie noch was brauchen, lassen Sie es mich wissen.«
Eine höchst aufschlussreiche Nachricht. Nautilus rief zurück.
»FBI …«, verkündete eine selbstsichere Frauenstimme. »Abteilung Verhaltensforschung.«
»Detective Harry Nautilus von der Polizei in Mobile. John Wyatt wollte mich sprechen.«
»Einen Augenblick bitte.«
Sekunden später wurde am anderen Ende das Telefon abgenommen. »Detective Nautilus, John Wyatt am Apparat. Ich kann mich nicht entsinnen, Sie angerufen zu haben.«
»Haben Sie auch nicht. Ich wollte Sie sprechen, weil Sie Dr. Evangeline Prowse angerufen haben. Ich sitze gerade in ihrem Arbeitszimmer und habe Ihre Nachricht auf dem AB entdeckt. Leider muss ich Ihnen sagen, dass Dr. Prowse tot ist.«
Es dauerte eine Weile, bis Wyatt diese Neuigkeit verdaut hatte.
»Mein Gott. Was ist denn passiert?«
»Sie wurde vor sechs Tagen in New York ermordet. Das Motiv ist noch unklar, aber wir haben jemanden im Verdacht. Da ich hier unten ermittle, habe ich Ihre Nachricht entdeckt. Darf ich fragen, was für Unterlagen Sie Dr. Prowse geschickt haben?«
Wyatt klang verunsichert. »Da muss ich erst mal kurz überlegen. Was für eine Tragödie … sie war großartig, brillant. Ahm, dann erzähle ich mal besser der Reihe nach. Vor ein paar Monaten hat Dr. Prowse mich angerufen und um Informationen über die Washingtoner Heckenschützen gebeten. Sie haben von den beiden bestimmt gehört.«
»John Allen Muhammad und Lee Boyd Malvo. Haben 2002 zehn Menschen umgebracht. Einfach so.«
Vor seinem geistigen Auge sah Nautilus den etwa vierzig Jahre alten, gut aussehenden Muhammad, der den wesentlich jüngeren Malvo umarmte. Der jüngere Heckenschütze grinste so selig, als wären sie auf dem Weg zum Rummelplatz.
»Dr. Prowse wollte alles, was das FBI über die beiden zusammengetragen hat«, fuhr Wyatt fort. »Vor allem die psychologischen Profile und den Hintergrund – wie sie sich getroffen haben, wie alt sie waren, als sie sich kennenlernten, welcher Natur ihre Beziehung war …«
Mit einer Hand fischte Nautilus einen Notizblock aus der Tasche seines limonengelben Jacketts und schrieb mit.
»Sie interessierte sich nur für Muhammad und Malvo?«, wollte er wissen.
»Ja. Und sie wollte die Infos so schnell wie möglich.«
»Kam Ihnen das ungewöhnlich vor?«
»Ja, ziemlich. Normalerweise konsultierte Dr. Prowse das FBI, wenn sie einen Artikel schrieb oder eine Präsentation für ein Symposium anfertigte. Und dann hieß es immer: ›Schicken Sie mir die Unterlagen, sobald Sie die Zeit dazu finden.‹ Das Material über die Heckenschützen wollte sie jedoch sofort haben.«
»Und Sie haben ihren Wünschen entsprochen.«
»Was Dr. Prowse wollte, hat sie auch bekommen. Ich kenne niemanden, der Psychopathen besser versteht als sie. Ihr Einfühlungsvermögen war ganz erstaunlich.«
»Hat sie erwähnt, warum sie sich gerade für diese beiden Personen interessierte?«
»Meiner Meinung nach befasste sie sich mit dem Einfluss, den John Muhammad auf Malvo hatte. Wie alles angefangen hat, wie dominant er war. Sie erwähnte, sie würde sich mit der ›Vergangenheit von jemandem‹ beschäftigen. Damals dachte ich, es ginge ihr um einen der Heckenschützen, doch heute halte ich es für möglich, dass ich mit meiner Einschätzung falschgelegen habe.«
Nautilus notierte Beschäftigte sich mit der Vergangenheit von jemandem auf dem Block, hielt kurz inne und unterstrich jemandem.
»Der Junge, Malvo, wie alt war er, als das Morden losging? Sechzehn?«
»Siebzehn«, sagte Wyatt. »Muhammad war zweiundvierzig. Ein Exmarine und höllisch guter Schütze. Er hat Malvo Schießunterricht gegeben.« Wyatt seufzte. »Mein Vater hat mir beigebracht, wie man Hasen jagt.«
»War der Junge erpicht darauf, das zu lernen, oder wurde er unter Druck gesetzt?«
»Nein, er wollte es, aber Malvo stand von Anfang an unter einem schlechten Stern. Hat in den ersten Lebensjahren in ziemlich ärmlichen Verhältnissen auf Jamaika gelebt, ohne feste männliche Bezugsperson. Seine Mutter hat ihn regelmäßig allein gelassen. Muhammad hat sich
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