Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bestiarium der deutschen Literatur (German Edition)

Bestiarium der deutschen Literatur (German Edition)

Titel: Bestiarium der deutschen Literatur (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
Vom Netzwerk:
«Schmerzensmonolog» attestiert, sich andererseits aber über eine früh zutage tretende Jammerhaltung erstaunt zeigt, die so nicht einmal bei aus dem Nest gestoßenen Jungraben zu beobachten sei.

Weiss, der
    Nordschwedische Art des Eisbären, der gemeinhin als gutmütig gilt, aber zu Jähzorn und zum Verzehr von Journalisten neigt. Seine collagehafte Possierlichkeit täuscht über eine verborgene Gier zur Attacke hinweg, mit der er selbst wohlwollende Wärter überfällt. Anbiedernde Ausflüge nach Sibirien – oder in anliegende Ortschaften wie Pankow – sollten nicht über die grundsätzliche Disposition zur Einsamkeit hinwegtäuschen. Tanzt gerne auf öffentlichen Bühnen, wo er Pfiffe und Mißfallenskundgebungen übelnimmt, was zu einer generell mißverstandenen Ästhetik des Widerstands führt, die bereits in einer Loslösung von jeder elterlichen Bindung deutlich wird. Lebt in strikter Ein-Ehe, wenn auch nägelkauend. Versuche, ihn in Mitteleuropa heimisch zu machen, scheiterten.

Wohmann, die
    Recte: die Wehmann, ein auffallend schöner, schwarzgefiederter Vogel, dessen Lebensraum sich auf die Ausläufer des Odenwaldes in der Gegend um Darmstadt beschränkt, wo er seit fast acht Jahrzehnten heimisch ist. Im Volksmund wird ihm irrtümlich eine Verhaltensweise bescheinigt, wie sie Lemmingen angedichtet wird. Angedichtet, weil auch Lemminge sich durchaus nicht selber umbringen. Die Weh-Klagen, die dieser Vogel ausruft und die sich wie Todesschreie anhören, sind reine Fiktion, eine Form der in der Fauna seltenen raffinierten Täuschung. Diese Künstlichkeit soll Verfolger auf eine falsche Fährte locken. Zur Besonderheit des «in Kammern zurückgezogen» lebenden Vogels gehört es, daß er das ganze Jahr hindurch brütet, wobei sich die weiblichen und die männlichen Tiere – die in strenger Paarbindung leben – ablösen und wechselweise zur Nahrungssuche ausfliegen. Die Wehmann, deren schön gesprenkelte Eier, kleiner als die der ordinären Möwe, als Leckerbissen gelten, ist ungeheuer fruchtbar und wird von kritischen Anrainern ihrer Nistgebiete als Plage bekämpft. Bevorzugte Nistplätze des Tieres, dessen ungewöhnlich umwimperte große Augen einen stets vorwurfsvollen Ausdruck haben, sind alte Gemäuer – Funkanstalten, Druckhäuser, Papierfabriken.

Wolf, die
    Riesenschuppentier. Im Unterschied zu anderen Spezies der Gattung, deren Panzer aus Knochenplatten von einer dicken Hornhaut bedeckt ist, hat Manis gigantea eine dünne Haut. Die den Körper bedeckenden überlappenden Schuppen lassen das Tier zierlich und wie gefiedert aussehen; im Laufe seines Lebens wirft es seine Schuppen ab und erneuert sie. Die Zunge ist länger als Kopf und Körper und erzeugt beim Herausschnellen einen leisen, etwas heiser klingenden Sing-Sang-Ton, auch «Giganten-Sound» genannt. Schuppentiere besitzen keine Zähne; aber die Abart Riesengürteltier, das bis zu Schäferhundgröße aufwachsen kann, hat große, scharfe Krallen und wirkt dadurch gefährlicher als unser Exemplar, das sich nicht verteidigen kann – zumal nicht gegen jagende Menschen. Eine gewisse Flinkheit befähigt die Wolf, sich bei Gefahr zu einem festen Ball zusammenzurollen, oder zum Graben eines unterirdischen Baus. Dort wird die Nahrung durch kräftige Muskeln und Steinchen im Magen zerkleinert. Über Sexualverhalten und Fortpflanzung ist nichts bekannt.

Wondratschek, der
    Wondra-Schreck. Schrecken verbreitender tschechisch-österreichischer Parasit, fast unsichtbar. Nistet bevorzugt in den mondänen Smoking-Revers und Seidenroben bei Box-Veranstaltungen. Jüngst auch festgestellt als Zerstörer des Samtfutters von Geigenkästen. Italienische Wissenschaftler wollen sogar das Ruinieren der Saiten eines Cellos «Mara» dem energischen Fresser zuschreiben, weil sie dessen leise, fast lyrisch klingende, melodiöse Laute während der Vernichtungsarbeit belegen konnten.

Zeh, der
    Zeh wird etwas spöttisch der Rauhfußkauz genannt, eine kleine Eule, die sich zur Verblüffung der Naturschützer neuerdings in Deutschland ausbreitet – insgesamt 15 Bruthöhlen, die von den Rauhfußkauzpaaren bezogen waren, haben Forscher jüngst in norddeutschen Waldrevieren entdeckt. Allerdings bekommt man den 25 Zentimeter großen Jäger nur selten zu sehen, vor allem das brütende Weibchen ist extrem scheu und verbirgt sich vor dem Hauptfeind, dem aus Polen eingewanderten Baum-Marder. Corpus delicti wird der unverhältnismäßig große Kopf des Vogels genannt; während

Weitere Kostenlose Bücher