Bestiarium
hatte Serko seine Kreditkarte nicht mehr benutzt. Interpol förderte nichts mehr zutage.
Dann ergab sich eine Übereinstimmung mit einem in Johannesburg wöchentlich erstellten Verzeichnis vermisster Personen. Eine Mrs. Katoo, Mädchenname Serko, behauptete, die Mutter von James Serko zu sein.
Interpol hatte den Treffer elf Tage nachdem Serko mit der Prostituierten im Westend von Dijon zusammen gewesen war verzeichnet. Sie hatten bloß keinen Grund gehabt, dieser Information besondere Beachtung zu schenken. Es war sicherlich ein Erfolg - aber in Hinblick auf einen Raubüberfall und vier ungelöste Schmuggelvergehen, denen zunächst keine hohe Priorität eingeräumt wurde. Bis jetzt.
»Er hat einen Fehler gemacht«, sagte Simon und machte sich einige Notizen, »als er den Garagenservice des Hotels benutzt hat. Wir haben ihn.«
Der Hoteldiener erinnerte sich an den Mann und den Wagen. Ein 2003er Saab.
»Sie haben in der Garage eine Videokamera«, sagte der Hoteldiener. »Aber ich weiß nicht, wie lange sie ...«
Innerhalb von Minuten hatte Simon den neuen technischen Leiter des Hotels am Telefon. Der Mann hatte die Absicht gehabt, nach einem Jahr alle Videobänder zu löschen, so wie seine Kollegen es auch in den eleganteren Hotels zu tun pflegten. Dann hatte er es sich anders überlegt und die Bänder im Keller deponiert. Es würde daher nur ein paar Stunden dauern, um das Video von der fraglichen Nacht zu finden.
Als er das Band endlich in Händen hatte, wurde der Saab eindeutig identifiziert. Sein Kennzeichen, eine Nummer, die mit NL für Niederlande begann, war auf achtundzwanzig Einzelbildern - etwa eine Sekunde lang - aufgezeichnet worden.
KAPITEL 20
J ames ging mit Martin und Max hinaus. Das Mammutweibchen Alice schaute ihnen entgegen. Ihre Stoßzähne warfen lange Schatten auf die Ziegel des aus dem 14. Jahrhundert stammenden Pflasters des Burghofs.
»Alice«, sagte James leise, »komm her und sag hallo.«
Er streckte die offene Hand aus. Nach einem kurzen Moment, in dem sowohl Martin als auch Max den Atem anhielten, hob Alice den Rüssel, und es war fast so, als wollte sie ihnen zuwinken. Langsam und dichte Atemwolken ausstoßend, kam sie auf sie zu, jeder Schritt erstaunlich elegant und behutsam. Martin und Max rührten sich nicht. Alice blieb vor ihnen stehen. Ein Monster von zehntausend Pfund unergründlicher Gelassenheit. Martin erinnerte sich an einen Tierfilm, den er einmal zusammen mit seinem Sohn angesehen hatte. Es ging um Gorillas, oder vielleicht waren es auch Dingos, und es hieß, man solle ihnen niemals in die Augen schauen, weil sie dies als Herausforderung betrachten könnten. Alice schien jetzt vor ihm zu schwanken, mächtig und zottig und genauso unschlüssig wie Martin, was nun geschehen sollte. Er konnte ihre nach Moschus riechenden Ausdünstungen wahrnehmen und fast die Wärme und Feuchtigkeit ihres Atems spüren, als sie ihren Rüssel nach ihm ausstreckte, ihn damit umkreiste, ihn jedoch nicht berührte. Er bemühte sich, ihr nicht in die Augen zu blicken und den Kopf vor dieser massigen Erscheinung zu senken, doch dazu war er nicht fähig. Er schaute zu ihr hoch, sah in ihre tief liegenden Augen, die hinter langen Haarzotteln kaum zu erkennen waren. Er fand ihre großen Augen fast im selben Moment, als sie seinen Blick erwiderte. Martin spürte so etwas wie eine unwillkürliche Berührung, einen von beiden Seiten bereitwillig herbeigeführten Kontakt, der vernunftmäßig nicht zu erfassen war. Eine im Himmel geschaffene Form des Umgangs miteinander, die ihm die Haare zu Berge stehen ließ. Er hatte das Gefühl, als hätte er sie soeben physisch berührt, obgleich seine Hand, zitternd und heiß, an seiner Seite herabhing.
Aus den Augenwinkeln gewahrte er Max, der sich bereithielt, ihn zu beschützen, sich jederzeit zu bücken und nach dem Messer zu greifen, das er, wie Martin wusste, in einem hautengen Futteral unter seinen schwarzen Brioni-Socken verbarg.
Martin schaute zu Max und unterdrückte ein Lachen. »Max, ich glaube, sie ist harmlos.«
Max nickte und entspannte sich ein wenig.
»James«, fragte Martin jetzt, »was ist das hier? Ein Zoo?«
James sah ihn an. »Lass uns hineingehen, und ich erkläre es dir. Max, würden Sie uns kurz entschuldigen?«
»Natürlich«, erwiderte Max. »Ich glaube, ich gehe hinauf in mein Zimmer. Es war eine lange Fahrt und ein ereignisreicher Tag.«
James und Martin ließen Max am Fuß der Treppe zurück. Max ging hinauf in sein
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