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Bestiarium

Bestiarium

Titel: Bestiarium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tobias
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draußen in französische Industrie investieren will. Wir müssen das Land kaufen, ehe es aufgeteilt und in einen Industriepark verwandelt wird. Eine Bevölkerungsexplosion in dieser Nähe mit Autobahnen, einem Flughafen und Straßenüberführungen wäre eine Katastrophe biblischen Ausmaßes.«
    »Das klingt ziemlich übertrieben, oder?«
    »Nein, das ist es nicht. Die Pufferzone ist von entscheidender Bedeutung.«
    James konnte erkennen, dass sein Neffe seine Zweifel an dem gesamten Projekt hatte.
    »Du hältst nicht viel davon.«
    »James, Investoren erwarten einen Ertrag. Wo ist die Rendite? Es sei denn, natürlich, du beabsichtigst, den Memling oder den Wald zu verkaufen, den du schützen willst. Oder du willst mit den Wilderern ins Geschäft kommen. Warum wendest du dich nicht einfach ans französische Militär, damit es den Schutz dieses Anwesens übernimmt? Und zwar kostenlos. Hat man dir keine Steuerbefreiung gewährt? Das Ganze hat doch einen hohen historischen Wert, Welterbe-Status und so weiter. Sicherlich würden Wissenschaftler die Ländereien unter die Lupe nehmen. Ich denke an den World Wildlife Fund, den National Trust oder wie immer es in Frankreich genannt wird oder eine spezielle Abteilung der Polizei. Ich meine, warum soll man nicht die Möglichkeiten nutzen, die die Oliviers keinen Cent kosten würden? Wo ist das Problem? Schön, du hast berechtigte Sorgen, was die allgemeine Modernisierung betrifft. Aber man kann doch mit der Regierung reden. Immerhin beschützt sie den Louvre. Er ist ein nationaler Schatz. Niemand würde die Mona Lisa stehlen.«
    »Aber sie wurde gestohlen. Im 19. Jahrhundert war sie für eine Woche verschwunden. Und ihre Berühmtheit und die Millionen Touristen, die sie besichtigen, sind nicht gerade das, was man sich für die seltensten Papageien der Welt wünschen würde. Jeder Wissenschaftler hätte andere Vorstellungen, was getan werden müsste, wie man an die Sache heranginge, was am wichtigsten wäre, welche Untersuchungen durchgeführt werden müssten, welche Gene, welche DNS erhaltenswert wäre und wie man die Steuergelder am besten einsetzen könnte. Ein Albtraum. Schlimmer noch, ein Desaster an Aufdringlichkeit. Martin, es besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen einem Museum und dem, was mir vorschwebt. Ich hatte gehofft, dass du das verstehen würdest. Dass du mir versichern kannst, dass das Schicksal nicht nur dieser Familie, sondern dieses ... dieses Gartens nicht weiter in Gefahr ist.«
    Martin stand auf und ging zum Fenster. Er blickte hinaus auf das Châteaugelände. Plötzlich entdeckte er im spärlichen Lichtschein des einzigen noch intakten Sicherheitssystems eine seltsame, kleinere Kreatur. Sie bewegte sich wie ein alter Mann, gebückt und rundlich, über das grasbewachsene Gelände auf der Rückseite des Châteaus.
    »Was ist das?«
    »Das?« James erhob sich, kam zum Fenster und trat neben ihn. »Ach ja. Das ist ein Dodo, Pezophaps solitaria oder Raphus cucullatus, wie er auch genannt wird. Die Tiere stammen von den Maskarenen, wahrscheinlich von Rodrigues, nicht weit von Madagaskar. Oder von Mauritius ganz in der Nähe. Normalerweise schlafen sie nachts. Ich hatte schon überlegt, das Licht auszuschalten. Ich weiß, dass es sehr störend ist. Aber wir halten es für notwendig.«
    Martin empfand fast so etwas wie Ehrfurcht, während er versuchte, Erinnerungen aus seiner Kindheit oder an ein Buch wachzurufen. Und für einen kurzen Moment empfand er ein zu Herzen gehendes Gefühl der Vertrautheit. Es hatte mit seinem Vater zu tun. Irgendwo weit in der Vergangenheit war da eine Erinnerung, ein Gefühl des Erkennens, des Begreifens, das ihm sehr wichtig und teuer gewesen war, das er aber, bis zu diesem Moment, vergessen hatte.
    »Geht es dir gut?«, fragte James mit einem Augenzwinkern, als er den verträumten Blick seines Neffen bemerkte.
    »Ich weiß nicht, ob ich so einen schon mal gesehen habe.«
    »Wahrscheinlich nicht«, meinte James und lächelte traurig.

 
    KAPITEL 29
     
    I n einer privaten Wohnung in Paris im fünften Stock eines Gebäudes, in dem sich im Parterre eine die ganze Nacht geöffnete Disco befand, versammelten sich gegen Mitternacht acht Männer. Die Klänge der Rockmusik und die lauten Rufe und Schreie, die das Chaos unten komplett machten, hallten mehrere Blocks weit durch das 9. Arrondissement. Eine lange Schlange bleichgesichtiger Wesen wartete auf der Straße darauf, in den Untergrundhimmel pulsierender Musik,

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