Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bestiarium

Bestiarium

Titel: Bestiarium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tobias
Vom Netzwerk:
meisten der dargestellten Tierarten wurden schon vor Langem für ausgestorben erklärt. Aber abgesehen von den Mysterien der Natur hatte jeder Besucher auch gewisse religiöse Erfahrungen und Anliegen, wie man annehmen kann. Nun, nicht nur kann, sondern es dürfte als gesichert gelten, wenn du meine persönliche Meinung hören willst. Das sagt mir meine Erfahrung, sollte ich hinzufügen. Zum Beispiel Fra Angelico ... dort, das ist seine Signatur. Manche behaupten, er wäre einen Monat hier gewesen. Während Rembrandt nur zwei Tage lang da war, wie ein Wilder zeichnete und wieder verschwand.«
    »Und du hast dieses Buch gesehen? Es in der Hand gehalten?«
    »Ich fürchte nein. Mein Großvater und seine Vorgänger kannten es jedoch genau, und er war es, der deinem Vater und mir davon erzählte. Wir beide wuchsen auf mit Geschichten von Intrigen, mit Legenden und Sagen und sogar mit Berichten, wie das Buch nicht nur einmal, nicht zweimal, sondern sehr oft gestohlen wurde. Es gibt Leute, die würden dafür einen Mord begehen, Martin. Es ist möglich, dass Napoleon es versucht hat. Und die Nazis haben jedes Museum in Europa danach durchstöbert. Das Buch ist nicht nur ein Buch, wie du sicherlich jetzt erkennst. Es ist die Zukunft.«
    »Die Zukunft? Was meinst du damit?«
    »Dein Urgroßvater erzählte uns, dass es im Wesentlichen der letzte Teil der wichtigsten Trilogie war, die je geschrieben wurde.«
    Martin versuchte die Bedeutung dieser Feststellung zu begreifen, aber es wollte ihm nicht gelingen.
    »Es gab das Alte und das Neue Testament, aber es gab bis zum letzten Eintrag in dieses Buch kein Zukunftstestament. Und diejenigen, die das Privileg hatten, an der Erschaffung dieses, ich darf wohl behaupten: die Zeit überdauernden Habitats mitzuwirken, waren selbst Propheten. Ihre gemeinsamen Bemühungen führten zur gleichen Art gesammelter Weisheit, die wir zum Beispiel der Urheberschaft des Buches Kohelet zuschreiben, einem Werk, von dem ich persönlich annehme, dass es im Laufe eines längeren Zeitraums entstanden ist.«
    Die Worte waren wie in Stein gemeißelt. Ein Zukunftstestament? Martin kämpfte gegen eine plötzliche Übelkeit an. Eine entsetzliche Erregung drohte ihn zu übermannen.
    »Aber James, bestimmt ... Ich meine, ein solches Buch können wir unmöglich verkaufen!«
    »Nicht bei einer Auktion und nicht auf dem freien Markt. Das steht absolut nicht zur Debatte. Niemals. Offen gesagt ist die Welt nicht bereit für ein solches Buch. Ich habe so etwas niemals beabsichtigt. Ich dachte eher an ein diskretes, heimliches Geschäft. Bei dem wir mit Sicherheit davon ausgehen können, dass es in vertrauenswürdige Hände gelangt. Wir haben einen oder zwei Museumsdirektoren in unserem Orden. Aber sie verfügen nicht über die Mittel, um das Buch zu erwerben. Dazu sind nur wenige Museen in der Lage. Wir haben uns sogar überlegt, dass ein Konsortium es kaufen könnte - enge Freunde der Familie. Aber es ist nicht genug Geld vorhanden, und wir sind nicht gerade erpicht darauf, die Aufmerksamkeit auf unsere Notsituation zu lenken. Wenn ich ein wenig verzweifelt klinge, lieber Neffe, dann kannst du es jetzt sicher verstehen.«
    »Du stellst immer mehr Bedingungen. Einen Käufer zu finden wird schon schwierig genug sein. Ihm auch noch zu vertrauen? Du machst Witze.«
    »Du musst jetzt aufbrechen«, sagte James. Er war auf dieses Gespräch nicht vorbereitet, nicht jetzt. Es gab noch weitere Hindernisse, Komplikationen, ethische Probleme und Probleme eher praktischer Natur. »Du willst Margaret sicher nicht warten lassen, und wir haben noch eine Menge Arbeit vor uns.«
    »Wo ist das Buch?«
    Und sein Mut sank, als er den traurigen Ausdruck in James' Gesicht gewahrte. »Das ist das Problem. Weißt du, dein Ururgroßvater übergab das Buch einem Verwandten im Palast in Brügge, den ich bereits erwähnte, und zwar irgendwann während der Französischen Revolution. Ich weiß keine weiteren Einzelheiten, außer dass unser Vorfahr genau wusste, dass ein solcher politischer Aufruhr seit Jahrhunderten die erste ernsthafte Gefahr für das wertvolle Werk darstellte. Offensichtlich war die Existenz des Buchs bekannt geworden - es wurde darüber geschrieben. Irgendein Besucher konnte das Geheimnis nicht für sich behalten - wir haben nie herausbekommen, wer es war -, und es musste etwas geschehen, um die Handschrift zu verstecken. Wir erfuhren, dass es von den Mönchen in Cluny übernommen wurde. Sie waren mit der Familie befreundet.

Weitere Kostenlose Bücher