Bestien in der Finsternis
ich und grübele — aber offenbar habe ich
einen Knoten in der Leitung.“
Er schwang die Beine vom Bett.
„Nebenher, ohne besonders darauf zu achten, sah ich nämlich, wie Oskar ein
Stöckchen nahm — und irgendwohin schleppte. Das Stöckchen lag auf der Straße.
Oskar war zu weit entfernt. Genaueres konnte ich nicht erkennen. Nur soviel: Es
war rot.“
Ausnahmsweise begriff Klößchen
sofort. „Der Pfeil!“ murmelte er.
„Ja, wahrscheinlich.“
„Au Backe! Dann ist er wirklich
unschuldig, der Dreckskerl.“
„Unschuldig?“ Tim stimmte ein
hohles Gelächter an, das man bis in die Nachbarbuden WIGWAM, IGLU, ONKEL TOMS
HÜTTE und ASYLANTEN-ZELT hörte. „Der doch nicht. Wieso hatte er denn Bogen,
Holzpfeil und Brand-Utensilien bei sich — als er runter zum See ging? Doch nur,
weil er pfeilgerade das vorhatte, was wir vermuten. Nur der Zufall hat ihn davon
abgehalten. Er verlor den Pfeil, und aus der Brandstiftung wurde nichts. Das
gereicht ihm jetzt zum Vorteil, wenn auch nicht zur Ehre; und wir stehen blöd
da. Dein Zigarrenstummel und Oskars Stöckchen passen zusammen. Die Taube hat
den Brand gelegt. Damit ist alles aus! Jetzt hat Gabys Vater kein Druckmittel
mehr gegen Zenke.“
„Du meinst wegen Oma Habrechts
Sparstrumpf?“
„Weshalb sonst!“
„Verdammte Kiste!“ knirschte
Klößchen durch die Zähne. Dann hellte sich seine grimmige Miene auf. „Und wenn
wir den Mund halten? Dann bleibt alles beim alten, und Zenke...“
„Willi, das geht nicht“, fiel
Tim ihm ins Wort. „Das wäre Unterdrückung von Beweismitteln, Willkür, fast
schon Selbstjustiz.“
„Aber mich wurmt es, daß dieser
Mistkerl durch uns entlastet wird.“
„Mich auch. Aber Recht muß
Recht bleiben. Das sagte gestern erst unser Innenminister. Im übrigen könnte es
sein, daß wir den Pfeil gar nicht finden.“
„Du meinst, wenn wir ihn
vernichten, sobald wir ihn gefunden haben?“
„Nein! Ich meine, es besteht
immer noch die Möglichkeit, daß Oskars Beute ein Stöckchen war — ein rötliches
Stöckchen und nicht der Pfeil.“
„Ich könnte auch nicht
beschwören, daß die Taube eine brennende Zigarre im Schnabel hatte. Es war mehr
eine Fata Morgana.“
„Hm, hm.“ Tim ging zur Tür.
„Trotzdem muß ich Kommissar Glockner anrufen.“
Er lief die Treppen hinunter,
in den Parterre-Flur, wo sich in der sogenannten Besenkammer eine Telefonzelle
befindet: die Internats-Öffentliche.
Tim rief erst im Präsidium an,
erfuhr aber, daß der Kommissar keinen Nacht- oder Spätdienst habe, sondern
daheim sei.
Als er dort anrief, meldete
sich der Kommissar selbst; und Tim berichtete, zu welchem Ergebnis er und
Klößchen gekommen waren — aufgrund der so spät aus dem Gedächtnis aufgetauchten
Beobachtungen.“
„Es ist bereits dunkel“, sagte
Glockner. „Daß wir mit Taschenlampen den dichten Buschgürtel absuchen, bringt
nichts. Aber beim ersten Tageslicht bin ich draußen. Am besten, ich setze einen
Hundeführer ein.“
„Wir sind sauer“, sagte Tim.
„Manchmal kommt man sich ziemlich dumm vor, wenn man ehrlich ist.“
„Das scheint nur so, Tim. Die
Wahrheit ist jedes Opfer wert. Ehrlichkeit sollte für jeden etwas
Grundsätzliches sein. Auch wenn im Moment daraus Nachteile entstehen — auf
lange Sicht fährt man gut.“
„Zenke sollte sich dankbar
zeigen. Das Mindeste, das wir erwarten können, ist die Rückgabe des Geldes. Er
braucht sich ja nicht ins Messer zu stürzen, indem er sich als Dieb zu erkennen
gibt. Aber anonym könnte er Oma Habrecht ihr Geld zuschicken.“
„Ich fürchte, du überschätzt
seinen Charakter.“
„Nein. Ich mache mir keine
Illusionen. Ich spinne nur, wie es sein könnte.“
„Heute nacht bleibt er
jedenfalls noch in U-Haft.“
„Grüßen Sie Ihre liebe Frau und
Gaby.“
„Mache ich. Gute Nacht, Tim.“
12. Keita, Wächter des Hauses
Als Gaby am nächsten Morgen zur
Schule kam, konnte sie nichts Neues vermelden.
Karl, der noch nichts wußte,
erfuhr, wie sich die Situation geändert hatte.
Für die TKKG-Bande wurde der
Unterricht zur Geduldsprobe.
Wegen Erkrankung eines Paukers
fiel die dritte Stunde aus. Das bot Gelegenheit, sich mit Gabys Vater in
Verbindung zu setzen.
Tim und Gaby quetschten sich in
die Besenkammer. Klößchen und Karl warteten vor der Tür.
Gaby telefonierte. Aber sie
hielt den Hörer so, daß ihr Freund mithören konnte.
Freilich setzte das voraus, daß
sich eine Wange an die andere schmiegte; und Tim mußte zweimal niesen,
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