Bestien in der Finsternis
lag ruhig. Nur
ihre starren Augen glitzerten.
„Ich schnall ab!“ murmelte
Karl, der wieder mal Gelegenheit hatte, einen Beweis seiner enormen Bildung zu
liefern. „Eine Waldklapperschlange. Stimmt’s?“
„Respekt!“ sagte Schottloff.
„Stimmt. Kennst du dich aus mit Schlangen?“
„Nur theoretisch“, erwiderte
Karl. „Das ist aber eine besonders große.“
„Sie ist ungefähr zweieinhalb
Meter lang“, nickte Schottloff, „und wiegt über zehn Kilo. Ich schätze, sie ist
zwölf Jahre alt. Eine weibliche Schlange. Ihr Gift ist tödlich.“
Karl legte zwei Finger an die
Schläfe und runzelte die Stirn.
„Wenn ich mich recht erinnere“,
begann er seinen Vortrag, „töten diese giftbewehrten Ureinwohner Amerikas ihre
Beute lautlos. Sie gehören zu den Grubenottern und verschlingen die Beute
kopfüber, mit dem Strich des Fells. Nähert sich ihnen ein Tier, das zu groß ist
für ihre Gurgel, stellt die Klapperschlange ihre Alarmsirene an: Sie läßt ihren
Schwanz vibrieren, wobei die Hautringe sirrend aneinanderrasseln. Daher der
Name Klapperschlange. Erst wenn diese Warnung nicht verstanden wird, verteidigt
sich die Schlange. Sie beißt zu und injiziert (einspritzen) das mörderische
Gift. Das setzt sich vor allem aus hochaktiven Verdauungssubstanzen zusammen.
Sie zerstören das Gewebe des Opfers. Es sieht aus, als verfaule das Fleisch des
Opfers innerhalb von Minuten. Die Schlange macht etwa alle zwei Wochen Jagd auf
ihre Beutetiere wie Mäuse, Ratten, Erdhörnchen, Frösche und Vögel. Es gibt
ungefähr 70 Arten. Sie siedeln zwischen Kanada und Argentinien. Hören kann die
Schlange nicht — nicht mal ihr eigenes Rasseln. Sie orientiert sich auf andere
Weise. Sie züngelt, und die Spitzen ihrer gespaltenen Zunge nehmen Luftmoleküle
auf und befördern sie ins Maul. Dort, unterm Gaumen, befindet sich ein Organ,
das auf Duftstoffe reagiert. Ein aus Schmecken und Riechen gemischter
Sinneseindruck meldet der Schlange, worum es sich handelt. Ob um ein Beutetier
oder um einen großformatigen Feind. Die Rassel am Schwanzende besteht aus
verhornten Hautringen. Jeder Ring ist der Rest einer Häutung. Zwei- bis dreimal
im Jahr bekommt die Schlange einen neuen Überzug — kostenlos von der Natur.“
„Bravo!“ sagte Tim.
„Phantastisch, dein Gedächtnis,
Karl!“ stimmte Gaby ein.
Klößchen murmelte was von
Schmecken und Riechen.
Schottloff hatte fasziniert
zugehört.
Jetzt beugte er sich über das
Terrarium.
„Hast du gehört, Keita?“ fragte
er. „Karl weiß alles über dich.“
Das Reptil rührte sich nicht.
Aber seinen starren Augen schien nichts zu entgehen.
Gaby fröstelte plötzlich und
lehnte sich an Tim. Er legte den Arm um sie.
Schottloff, der das bemerkte,
sagte: „So, jetzt kennt ihr meinen Wächter. Gehen wir auf die Terrasse.“
13. Gürtel mit Löwenkopf
Hier war es sonnig und hell.
Schottloff hatte den
Kaffeetisch für fünf Personen gedeckt — üppig, aber mit der Unbeholfenheit des
etwas schlampigen Junggesellen.
Gaby stellte fest, daß zwei Tassen
nicht zum sonstigen Geschirr paßten.
Die eine, die Klößchen erhielt,
trug die Aufschrift: Palast-Hotel Wien.
Die andere war eine goldblaue
Sammeltasse und stand vor Tim.
Es gab chinesischen Tee, grünen
— weil der, wie Schottloff betonte, erstens sehr gesund sei und zweitens auch
die ,müdeste Fliege’ munter mache. So drückte er sich aus.
In der Mitte des Tisches
prangte eine gewaltige Schokoladentorte.
„Selbst gekauft“, sagte
Schottloff. „Bei Leihschiefer. Ich glaube, dort gibt’s die besten Torten. Auch
ich nasche gern.“
„Eigentlich sehen Sie mehr aus
wie jemand, der rohe Steaks verputzt und Klapperschlangen mit der Hand fängt“,
meinte Tim.
Schottloff lachte. „Ganz so
wild bin ich nicht. Bedient euch.“
Das brauchte er bei Klößchen
nicht zweimal zu sagen. Das dicke TKKG-Mitglied lud sich gleich zwei Stücke auf
den Teller.
Nachdem er gekostet hatte,
meinte er: „Prima Torte. Aber wie paßt das zusammen: Süßigkeiten und
Klapperschlange? Das verstehe ich in meinem Kopf nicht. Wie kann man sich so
ein Reptil halten? Gaby hat einen treuen Hund. Ich kaufe mir später einen
Papagei. Karl kriegt demnächst eine Katze, und Tim mag alle Tiere. Aber eine
Schlange würdest du dir wahrscheinlich nicht zulegen“, wandte er sich an seinen
Freund.
„Wahrscheinlich nicht“, sagte
Tim.
Schottloff setzte seine Tasse
ab. „Die Geschmäcker sind nun mal verschieden. Meine Schlange ist
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