BETA (German Edition)
Die Villa, in der ich wohne. Die Familie, die mich wie eine Tochter und Schwester aufgenommen hat. Mein Geschmackssinn, den ich nicht haben dürfte und trotzdem habe.
»Ich habe Schokolade auch probiert«, flüstert sie da, als müsse sie mir dieses Geständnis unbedingt machen, als reiche ihr Mut jedoch nicht dafür aus, sich laut dazu zu bekennen.
Oh! Vielleicht ist ihr Leben in der Boutique doch nicht ganz so beschränkt und unterprivilegiert.
Nach ihrem Geständnis wage ich mich selbst auch ein Stück weiter vor. »Schokolade schmeckt ziemlich gut«, wispere ich hastig zurück.
Becky greift nach meiner Hand und hält sie fest umklammert. »Ja«, stimmt sie mir sichtlich erleichtert zu. Sie geht mit mir zu einer Kommode, zieht die unterste Schublade auf, tastet hinter einen Stapel zusammengefalteter Kaschmirpullis und holt ihren Geheimvorrat an Schokoriegeln heraus, die vom Mainland auf die Insel geschmuggelt worden sein müssen. »Nimm, ich hab noch mehr.«
Jetzt ist mir alles klar. Allein von den Erdbeershakes hätte sie nie zunehmen können, aber natürlich von zu viel Schokolade. Und die isst sie nur dann im Übermaß, wenn sie das irgendwie glücklich macht. Vielleicht ist das ja ein Konstruktionsfehler bei uns Teen-Betas? Oder haben auch andere Klone einen Geschmackssinn?
»Nein, behalt sie ruhig«, sage ich. »Ich kann zu Hause so oft Schokolade essen, wie ich will.«
»Bitte, nimm sie mit, Elysia. Ich nehme dadurch immer noch mehr zu und ich will nicht zurückgegeben werden.«
»Zurückgegeben?«, frage ich. »Wohin denn?«
»In die Krankenstation«, flüstert Becky kaum hörbar.
Sie hat damals auch gesehen, was ich gesehen habe.
Ich nehme die Schokoriegel und stecke sie in eine der Einkaufstüten, die ich für Mutter trage.
»Danke«, sagt Becky. »Ich hab von allen gehört, was für ein Knaller du bist und wie zufrieden deine Besitzer mit dir sind. Die Damen von der Insel sind eine nach der anderen hier hereingeschneit, um mich zu begutachten. Natürlich nur heimlich, sie glauben, die anderen hätten es nicht mitbekommen. Sie wollen auch so ein Exemplar, wie du es bist. Aber nachdem sie mich gesehen haben, wollen sie dann doch nicht.«
»Du wirst noch einen Käufer finden«, sage ich, die Stimme auf tröstend getuned.
»Ich will keinen Käufer. Ich will meine Freiheit«, flüstert Becky auf einmal.
Sie will etwas? Und welche Art von Freiheit denn? Aber ich kann ihr auf dieses schockierende Geständnis weder etwas antworten noch nachfragen, denn Mutter und Marisa kehren in diesem Moment zu uns zurück. Mutter verabschiedet sich. Ich nehme ihre Einkaufstüten. »Zeit für unseren Lunch in Heaven«, verkündet sie.
»Ja, Mutter«, sage ich. »Auf Wiedersehen, Marisa. Auf Wiedersehen, Becky.«
Ich dachte bisher immer, Freiheit würde bedeuten, aus der Boutique rauszukommen und ein neues Zuhause zu finden. Aber jetzt merke ich, dass Becky nicht nur den Geschmackssinn mit mir teilt – den wir beide eigentlich überhaupt nicht haben dürften –, sie scheint auch unter Freiheit etwas völlig anderes zu verstehen, als meine Datenbank mir als Erklärung zu diesem Wort einspielt.
Ich glaube, Becky meint mit Freiheit , über sich selbst bestimmen zu können, statt Eigentum eines Menschen zu sein.
Vierzehntes Kapitel
P eng peng peng.
Das Rehkitz ist tot.
»Aufhören!«, kreischt Liesel. Mit dem Codewort kann sie das Spiel sofort beenden, wenn es ihr zu grausam wird.
»Zu spät«, sagt Ivan. »Du hast nicht rechtzeitig gerufen. Ich habe Bambi schon zur Strecke gebracht.«
Aber das Spiel reagiert trotzdem auf Liesels Befehl und alles verschwindet. Die Hügelketten, die großen, hohen Eichen, die Wiesen mit dem stillen Teich, an dem das Rehkitz seinen Durst stillte, dann das niedergestreckte Kitz – alles ausgelöscht. Von dem Virtual-Reality-Spiel bleiben nur noch die Konsolen in unseren Händen.
»Ich will Prinzessinnenball spielen.« Liesel zieht eine Grimasse. »Ich hasse Spiele, in denen immer geschossen wird.« Die Jagdspiele machen ihr Angst, vor allem die Haifischjagd. Auf Demesne sind Haie gutmütige, geklonte Tiere, die sie manchmal zu Gesicht bekommt, wenn ihr Vater sie auf eine Bootsfahrt an den Rand der Gewässer von Ion mitnimmt; dort lässt sie dann gern die Beine ins Wasser baumeln und freut sich, wenn die Haie sie an den Fußsohlen kitzeln. In der FantaSphere aber sind Haie Meeresungeheuer, die Menschen auffressen, statt sie zu kitzeln.
»Du kennst die Regeln«, sagt Ivan.
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