BETA (German Edition)
aber niemandem verraten werde, wenn sie mir im Gegenzug hilft, mehr zu verstehen.
Xanthe schließt die Fenster im Raum und verriegelt sie. Dann geht sie zur Tür, öffnet sie, späht hinaus, ob auf dem Flur irgendwer ist, schließt die Tür wieder und setzt sich dann auf mein Bett. Sie macht ein Zeichen, dass ich mich zu ihr setzen soll.
»Wirst du das auch für dich behalten?«, fragt sie leise.
Offensichtlich akzeptiert sie mein Tauschgeschäft. »Das schwöre ich.« Ich berühre ihre Finger, aber sie zuckt zusammen. Um sie zu beruhigen, nehme ich ihre Hand und drücke sie fest. Bitte, vertrau mir. Vielleicht können wir uns gegenseitig helfen, möchte ich am liebsten rufen .
Xanthe erwidert meine Geste nicht, aber sie zieht ihre Hand auch nicht weg. »Defekte Klone glauben, dass sie eine Seele haben. Sie haben Empfindungen und Gefühle. Sie sind wütend und aufgebracht darüber, wie man sie behandelt. Es hat auf Demesne ein paar davon gegeben. Als man sie ausfindig gemacht hat, sind sie alle sofort ins Labor zurückgebracht und eliminiert worden.«
»Glauben sie, dass sie Seelen haben? Oder haben sie tatsächlich welche?«, frage ich.
»Keine Ahnung«, sagt Xanthe. Aber ihr Zeigefinger verhakt sich in meinen, als hätte sie plötzlich eine ganz leise Hoffnung.
»Wer ist er?«, frage ich.
Ihr Gesicht wird weicher und strahlt beinahe.
»Er arbeitet in den Sauerstoffanlagen.« Aha! Also deswegen hatte heute etwas in der Luft gelegen, und diesmal handelte es sich dabei nicht um Bio-Engineering, sondern um etwas Anderes, Unnennbares, nicht Sichtbares, nicht Greifbares, aber deutlich zu spüren. Konnte das Liebe sein? Die unmögliche Liebe zwischen zwei Klonen? So undenkbar, dass das Erstaunen darüber bei allen noch größer sein würde als der Skandal. »Er stammt aus Heaven.«
Das ist jetzt die Gelegenheit. Ich darf sie nicht ungenutzt verstreichen lassen. »Und was weißt du von der Revolte?«
Xanthe weicht vor mir zurück, als hätte ich eine ansteckende Krankheit. Hab ich mich zu weit vorgewagt? »Nichts, gar nichts. Auf der Insel gibt es keine Revolte.«
Xanthe lügt. Das Wort Revolte gibt es nicht in meiner Datenbank, deshalb dürfte es bei ihr auch nicht der Fall sein. Und es ist auch mehr als nur ein Wort, auf das ich zufällig in Astrids Wörterbuch gestoßen bin. Der Governor wirkte sehr ernst. Was auch immer damit gemeint ist, es ist wirklich. Und was hat diese Revolte mit der Vorstellung von Freiheit zu tun?
Wie bringe ich Xanthe dazu, mir zu vertrauen?
Was ich ihr jetzt gestehe, könnte zu meiner Abschaltung führen, das weiß ich. Aber andererseits weiß ich ja auch, dass sie durchaus Empfindungen und Gefühle hat. Wir sind also quitt. Mehr noch, wir sind beide gleich. Ich muss ihr das unbedingt sagen. »Ich kann Essen schmecken«, flüstere ich. »Ich esse gern Makkaroni mit Käse und Schokolade.« Während ich es ausspreche, habe ich das Gefühl, als würde ich mich von einer schweren Last befreien. Ein Geheimnis mit sich herumzuschleppen ist nicht leicht. Ich spüre, wie mein ganzer Körper sich entspannt. Müdigkeit überkommt mich.
Einen Augenblick lang wirkt Xanthe verwirrt. Eben noch frage ich sie nach der Revolte und jetzt erzähle ich ihr was übers Essen. Aber dann begreift sie. »Unmöglich«, sagt sie. »Aber vielleicht hat das damit zu tun, dass du eine Beta bist. Ja, das muss es sein.«
»Hast du einen Geschmackssinn?«, frage ich.
»Nein!«, antwortet sie fast gekränkt. »Ich bin mit meinen Erdbeershakes zufrieden.« Leichte Panik scheint sich in ihr auszubreiten.
»Und dann ist da noch etwas.« Ich mache eine Pause. »Ich … ich habe Erinnerungen. Von meiner First.«
Xanthe schnappt nach Luft. »Nein. Das hat es noch nie gegeben. Du erinnerst dich an sie?«
»Nicht so richtig. Ich erinnere mich nicht an sie, sondern in mir blitzen Bilder auf, die nur von ihr stammen können. Es sind ihre Erinnerungen. Vor allem eine ganz bestimmte. Es passiert immer, wenn ich im Wasser bin.« Xanthes misstrauisch hochgezogene Augenbrauen verraten mir, dass diese Enthüllung keine so gute Idee war. »Aber es ist nichts. Wahrscheinlich nur so eine vorübergehende Teen-Beta-Sache. Eigentlich weiß ich gar nicht so recht, wovon ich da überhaupt rede«, füge ich deshalb hastig hinzu.
Xanthe packt mich an der Schulter und schüttelt mich. »Du musst das für dich behalten«, sagt sie. »Du musst das unbedingt für dich behalten. Das mit dem Geschmackssinn würden sie ja vielleicht
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