BETA (German Edition)
nicht geschaffen, und deshalb werde ich auch nicht die unangenehme Erfahrung machen müssen, die man unerwiderte Liebe nennt. Ich bin hier, um zu dienen.
»Hi«, antworte ich. Ich will nach meinem Koffer greifen, um ihn auf mein Zimmer zu bringen, aber Tahir schüttelt den Kopf und zeigt auf den Butler.
»Er ist nicht schwer«, sage ich. »Kein Problem.«
»Aber das ist sein Job.«, antwortet Tahir. Gehorsam lasse ich den Griff des Koffers los, damit der Butler seinen Job tun kann. Vermutlich ist der Hinweis, dass doch der Diener meinen Koffer tragen soll, das Äußerste an freundlicher Begrüßung, wozu Tahir in der Lage ist. Weil es mein Job ist, ihm Gesellschaft zu leisten, hoffe ich, dass ich gleich mit dieser Aufgabe anfangen kann, aber Tahir fährt fort: »Ich hab jetzt Physiotherapie. Wir sehen uns beim Abendessen.« Und damit geht er so abrupt davon, wie er gekommen ist.
Kein Ich bin so glücklich, dass du hier bist, du meine Schöne. Mit dir fühle ich mich so lebendig. Und auch kein Hey, würdest du gern wissen, wie weit ich es mit Astrid getrieben habe und ob du es in dieser Woche vielleicht schaffen könntest, sie zu übertrumpfen? Nur ein Wir sehen uns beim Abendessen. Noch nicht mal ein Boah-ey !
Ich folge dem Butler durch die Halle, bleibe aber sofort stehen, als vom obersten Treppenabsatz eine rauchige Stimme ertönt. »Ach, du bist schon da! Warte noch einen Augenblick und lass dich begrüßen!«
Es ist Tahirs Mutter. Sie kommt die Treppe herunter auf mich zu. Als ich Bahiyya Fortesquieus Gesicht aus der Nähe sehe, erschrecke ich im ersten Augenblick. Was Tahirs Mutter von allen anderen Damen der besseren Gesellschaft, die ich bei Mutter kennengelernt habe, unterscheidet, ist nicht, dass sie reicher ist als alle anderen zusammen genommen. Nein, sie sieht so aus, wie es ihrem Alter entspricht. Sie ist schön. Eine schönere Frau habe ich bei den Menschen noch nicht gesehen. Sie hat einen kaffeebraunen strahlenden Teint, volle korallenrote Lippen, hohe Wangenknochen, geschwungene schwarze Augenbrauen und haselnussbraune Augen mit dichten Wimpern, so wie Tahir. Was an ihrem Gesicht jedoch außerdem noch auffällt, sind die vielen Fältchen – Lachfältchen um ihre Augen, tiefe Falten auf der Stirn und Linien, die sich an den Mundwinkeln eingegraben haben. Noch erstaunlicher ist ihr Haar. Es fällt ihr in Locken fast bis auf die Hüften. Sie trägt es offen. Vor allem aber hat sie es nicht gefärbt, sondern besitzt den Mut, ihre weißen Haare offen zu zeigen. So etwas habe ich bei Menschen noch nie gesehen. Ich wusste nicht, dass es ältere Menschen geben kann, die sich ihrer Jahre nicht schämen.
Mrs Fortesquieu hat den Fuß der Treppe erreicht und ich lasse mich von ihr bereitwillig mustern. Wie Mutter, als sie mich in der Boutique entdeckte und überlegte, ob sie mich kaufen sollte, wandern auch die Blicke von Tahirs Mutter vom Scheitel bis zur Sohle über meinen Körper. Dann umkreist sie mich, berührt meine Haare, testet meine Oberarmmuskeln und betrachtet mich lange – meinen grazilen Hals, die vollen Lippen, die hohen Wangenknochen und das Rittersporntattoo an meiner linken Schläfe. Einen Moment lang schaut sie mir direkt in meine fuchsiaroten Augen, bevor sie den Blick dann abwendet. »Du bist wirklich außerordentlich schön.«
»Danke, Mrs Fortesquieu«, sage ich.
Sie streckt die Arme aus und legt mir die Hände auf die Schultern. »Wir wollen uns bei den Vornamen nennen. Ich bin Bahiyya. Tahirs Vater wirst du heute Abend kennenlernen. Du sollst ihn mit seinem Vornamen Tariq anreden. Beim Essen findet dann auch deine eigentliche Begrüßung statt.«
»Danke, Bahiyya«, sage ich folgsam. »Wie ist denn der Dresscode? Ich habe Kleider für alle möglichen Gelegenheiten dabei.«
Bahiyya lacht leise auf. »Wir sind hier unter uns. Du kannst anziehen, was du magst. Wenn du ganz abgerissen kommen möchtest, soll mir das auch recht sein.«
Sie zieht mich zu einer Umarmung zu sich heran. Sie fühlt sich warm an. Ganz anders als ihr kalter Sohn.
Fünfundzwanzigstes Kapitel
B ereits an meinem ersten Abend bei den Fortesquieus wird mir klar, dass diese Familie vollkommen anders funktioniert, als ich es bei den Brattons kennengelernt habe. Der Governor und seine Frau streiten viel miteinander, es wird bei ihnen häufig laut und manchmal drohen sie sich auch gegenseitig. Mit ihren Kindern verhandeln sie ständig über irgendetwas und oft genug werden Ivan und Liesel auch geschimpft. Bei
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