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BETA (German Edition)

BETA (German Edition)

Titel: BETA (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Cohn
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den Fortesquieus scheint größere Harmonie zu herrschen, eine heitere Ataraxia. Bahiyya und Tariq Fortesquieu ziehen sich gegenseitig kaum auf und machen sich dauernd Komplimente. Bahiyya ist lebhaft und extrovertiert, mit einem Temperament, das ihrer eindrucksvollen Schönheit entspricht. Er ist ein großer, schmaler, feingliedriger Mann, mit sich lichtendem schwarzen Haar, ruhigen braunen Augen und von eher introvertiertem Charakter. Jemand, der sicherlich immer schon die Wissenschaft dem Umgang mit Menschen vorgezogen hat, außer wenn seine Frau und sein Sohn bei ihm sind – dann konzentriert er seine ganze Aufmerksamkeit und Zuneigung auf sie. Er hat sich von seinen Geschäften zurückgezogen und scheint jetzt ganz damit zufrieden sein, sich nur der Familie zu widmen. Er und seine Frau blicken einander immer zärtlich an und ich habe sie sogar Händchen halten sehen. Wenn der andere in der Nähe ist, bleiben sie ihm immer zugewandt, sie scheinen stets zu spüren, was er sich gerade wünscht und was er benötigt, und immer wieder flechten sie in ihre Äußerungen aufrichtig klingende Bemerkungen wie »Ja, mein Schatz« oder »Wie du willst, Liebling« ein. (Ganz anders als beim Governor und bei Mutter, wo die Anrede »Liebling« sich so anhört, als würden sie in Wahrheit lieber sagen »Du bist mir ein solcher Klotz am Bein« oder »Du bist mein schlimmster Feind«.)
    Tahirs Eltern können ihren Sohn gar nicht oft genug umarmen und küssen. Sie mögen allen Reichtum der Welt besitzen, aber ihr einziges Kind ist für sie das Wertvollste, das sie haben. Tahir scheint ihre körperliche Zuneigung nicht zu erwidern, aber Mrs Fortesquieu teilt mir mit, das liege daran, dass er noch in der Pubertät sei. Teenager, so erklärt sie mir, können plötzlichen Launen und Stimmungsschwankungen unterworfen sein, melancholisch werden und sich von ihrer Umwelt zurückziehen, aber Tahir sei ein wirklich lieber, guter Kerl, der seit seinem Unfall viel durchgemacht und hart gekämpft habe. Sie ist sich sicher, dass er später als Mann wieder dem Jungen gleichen wird, der er früher war: zärtlich, liebevoll und fürsorglich.
    An unserem ersten gemeinsamen Abend sitze ich mit Tahir und seinen Eltern gemütlich auf der Terrasse, die so weit über die Steilküste hinausragt, dass man das Gefühl hat, hoch über den Wellen von Ion zu schweben. Farzad und seine Familie haben sich uns diesmal nicht angeschlossen. Von Ivan weiß ich, dass Farzads Vater ein Alkoholiker ist und seine Mutter, Tariq Fortesquieus Schwester, unter Depressionen leidet und ihr Zimmer kaum verlässt. Anders als Tahir und seine Eltern leben sie das ganze Jahr über auf Demesne, weil sie weder über ein eigenes Einkommen verfügen noch den Wunsch verspüren, sich ein neues Leben außerhalb der Insel aufzubauen.
    Ich trage eines der Kleider, die Mutter für mich ausgesucht hat. Mit seinem asymmetrischen Zipfelsaum sieht es tatsächlich aus, als wäre es aus Lumpen zusammengenäht. Obwohl es einen sehr tiefen Ausschnitt hat, wirkt Tahir davon völlig unbeeindruckt. Statt auf meinen Busen zu starren, beschäftigt er sich nervös mit allem, was auf dem Tisch steht. »Willst du noch einen Erdbeershake?«, fragt er, als ich mit meinem fertig bin. »Oder möchtest du vielleicht auch von unserem Essen probieren?«
    »Gerne«, antworte ich. Tahirs Eltern haben mich so warm und herzlich begrüßt, ich kann gar nicht anders, als auf alle Fragen offen und ehrlich zu antworten. Selbst wenn diese Aufrichtigkeit mich wahrscheinlich als defekten Klon brandmarkt. Der Aufenthalt hier bei dieser Familie bietet mir die Möglichkeit, mich so zu verhalten, wie ich wirklich bin. Ich kann endlich ich selbst sein. Ich hab es so satt, mich immer nur zu verstellen. »Ich mag Essen«, sage ich. »Besonders gern mag ich Schokolade. Sie schmeckt köstlich.«
    »Du kannst schmecken?«, fragt Bahiyya. Sie wirkt eher erfreut als schockiert.
    »Ja«, sage ich stolz.
    Die Brattons würden bei dieser Antwort glauben, dass ich einen Witz mache, um sie zu unterhalten, aber die Fortesquieus nehmen meine Aussage ernst. »Können das die neuen Beta-Modelle?«, fragt Tariq. »Hervorragende Neuerung von Dr. Lusardi.«
    »Wie wunderbar!«, ruft Bahiyya. »Dann werden wir von heute an jeden Abend zum Dessert Schokoladenmousse servieren!«
    »Danke!«, sage ich begeistert.
    Tahir hat das Essen auf seinem Teller kaum angerührt. Der grüne Super-Energy-Drink, der eigens für ihn gemixt wurde, scheint ihm mehr

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