BETA (German Edition)
sie. »Ich bin deine Mutter! Du hast mich doch geliebt.«
»Muss wohl so gewesen sein«, sagt Tahir und stürmt davon.
Tariq greift nach der Hand seiner Frau und drückt ihr einen Kuss auf die Innenfläche. »Er liebt dich immer noch«, sagt er. »Das wird schon wieder.«
Aus dem Flug mit dem Hovercopter wird an diesem Abend nichts mehr.
Tariq, der sich über Tahirs Verhalten ärgert, hat beschlossen, dass sein Sohn etwas Nachhilfeunterricht nicht schaden kann. Er solle ruhig mal wieder vorgeführt bekommen, was für ein Junge er vor dem Unfall war. Die Nachspeise wird uns in der Entertainment-Lounge des Hauses serviert, wo wir uns in Plüschsesseln niedergelassen haben, die im Kreis aufgestellt sind. In die Mitte werden 4-D-Aufnahmen aus Tahirs ruhmreichen Surfertagen projiziert.
Vielleicht wäre es ja hübsch gewesen, mit Tahir einen kleinen Rundflug zu unternehmen, aber was mir jetzt geboten wird, ist auf ganz andere Weise interessant. Ich bekomme einen Tahir zu sehen, dessen Oberkörper vor Wassertropfen glitzert und der Monsterwellen reitet, während ich gleichzeitig Schokoladeneis mit Karamellsoße löffle. Was für ein Klon-Mädchen schon ziemlich nahe an einen Zustand vollkommener Ataraxia herankommt. Wir schauen von unseren Sesseln aus zu, wie der alte Tahir – der Tahir vor seinem Unfall – durch die Tube einer lediglich sechs Meter hohen Welle reitet. Es wirkt alles so nah, dass ich mich schon auf ein paar Wasserspritzer gefasst mache. Wir beobachten, wie er den Rücken einer 25 Meter hohen Welle hinabgleitet. Mir wird allein schon beim Zuschauen ganz schlecht. Danach ist Tahir im Smoking bei einem Empfang zu sehen, wie er irgendeinem Regierungschef die Hand schüttelt, zugleich aber von einem schönen Mädchen abgelenkt wird, das gerade vorbeigeht. Er schenkt ihm ein süßes, schräges Lächeln und ruft ihm ein »Hallo, du Schöne« hinterher, während der Regierungschef breit grinst. Mir wird ein Tahir mit nacktem Oberkörper vorgeführt, dem nach gewonnener Meisterschaft Schärpen umgelegt werden und der in die Kamera strahlt. Die Arme hat er um seine mit ihm um die Wette strahlenden Eltern gelegt. In einer anderen Aufnahme beugt sich seine Mutter zu ihm, um ihn stolz zu küssen, und er stößt sie nicht weg, sondern streicht ihr liebevoll über ihre Wange. Als ihn ein Journalist fragt, wie er es schafft, bei einem so langen Ritt die Konzentration zu halten, antwortet er selbstbewusst: »Ich glaube an mich. Und ich weiß, dass meine Eltern immer für mich da sind und mich unterstützen.«
Bei dieser Äußerung blickt Bahiyya erwartungsvoll zu ihrem Sohn, als wolle sie zu ihm sagen: Erinnerst du dich jetzt? Sie streckt die Hand aus, um sein Knie zu berühren, aber er weicht zurück und steht hastig auf. Kaum zu glauben, dass dieser schöne, aber zurückhaltende Junge und sein früheres Ich in der Holografie-Projektion – dieser vor Kraft und Lebensfreude übersprudelnde Junge – ein und dieselbe Person sind.
Wenn ich ehrlich bin, glaube ich es auch nicht.
Während der gesamten Vorführung hat Tahir schweigend die Bilder angestarrt, als würde er durch den Laserstrahl hindurch auf die gegenüberliegende Wand schauen, vollkommen uninteressiert an seinen früheren Heldentaten, ja sogar gelangweilt.
»Sind wir für heute Abend damit fertig?«, fragt er jetzt seinen Vater.
Seine Mutter stürzt weinend aus dem Raum.
Tahirs Vater seufzt. »Ja, vermutlich. Ich gehe jetzt deine Mutter trösten. Streng dich morgen bitte etwas mehr an, Tahir. Versprich mir das.«
»Ja, Vater«, antwortet Tahir.
Wie mein Zimmer in der Villa des Governor direkt neben Astrids Zimmer, so liegt auch mein Zimmer bei den Fortesquieus direkt neben Tahirs Wohnräumen. Auf einer breiten Ottomane mit seidenen Kissen ist für mich ein Bett bereitet worden, alles ist in Lila, Gold und Fuchsiarot gehalten. Schweigsam begleitet Tahir mich dorthin. Man kann nicht gerade sagen, dass er ein Junge ist, der das Herz auf der Zunge trägt, was ihn aber für mich nicht weniger anziehend macht, ja im Gegenteil, seine Anziehungskraft sogar noch verstärkt.
Ich versuche, ihn in ein Gespräch zu verwickeln. »War es eigentlich ein besonderes Erlebnis, so hohe Wellen zu reiten?« Aus meiner eigenen Erfahrung beim Tauchen weiß ich, dass ich im Wasser ein seltsames Gefühl von Verbundenheit spüre, nichts empfinde ich als so mächtig und zugleich so flüchtig wie das Wasser. Meiner First kann es kaum anders ergangen sein. Ob er wohl auch
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