Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Betörend wie der Duft der Lilien

Betörend wie der Duft der Lilien

Titel: Betörend wie der Duft der Lilien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: AMANDA MCCABE
Vom Netzwerk:
und verdeutlichten, dass hier eine Frau aus Fleisch und Blut und nicht etwa eine rachsüchtige Medusa stand.
    „Wie findest du es?“, fragte Clio und wirbelte in all ihrer beängstigenden Pracht im Kreis.
    „Von diesem Kostüm wird ganz London reden“, sagte Calliope, noch etwas benommen. „Wo hast du dieses Kunstwerk her?“
    „Madame Sophie hat das Gewand genäht.“ Clio zupfte ihre Ärmel zurecht. „Und den Kopfschmuck habe ich selbst gebastelt. Cory hat mir geholfen, unsere aufblühende Künstlerin. Die Schlangen sehen gruselig aus, nicht?“
    „Schrecklich!“ Calliope schüttelte sich, aber Marys strenger Blick ließ sie gleich wieder stillsitzen. „Ich glaube nicht, dass der Duke sich an dich heranmacht, solange diese Dinger ihn anstarren.“
    Clio lachte. „Ich fürchte den Duke nicht!“ Sie schwang ihren Stab, einen langen, grün-goldenen, mit Bändern umwundenen Stock, der in einer Kobra mit gespreiztem Nackenschild auslief. „Ich werde ihn in Stein verwandeln.“
    „Wäre der Umgang mit Männern doch nur immer so einfach“, murmelte Calliope. „Als was haben sich Thalia und Vater verkleidet?“
    „Thalia als Eurydike und Vater natürlich als Sokrates.“
    „Mit dem Schierlingsbecher?“
    „Ja, sicher.“ Clio trat vor Calliopes Spiegel, um den Sitz ihrer Schlangen zu prüfen. „Genau genommen einem Becher Limonade mit Minzblättern. Wir müssen aufpassen, dass er niemanden zu Tode langweilt. Er läuft schon im Salon auf und ab und hält den Möbeln Reden.“
    „Wenn es keine Jugend gibt, die man verderben kann, tut es zur Not auch ein Polsterhocker. Klingt fast wie ein Originalzitat von Sokrates, oder?“ Calliope sah zu, wie Mary ihren Locken und Bändern den letzten Schliff gab und ihr dann vorsichtig den Helm aufsetzte. „Wie sehe ich aus, Clio?“
    „Vollkommen, wie immer. Es kann keine elegantere Athene geben“, antwortete Clio. „Zu dumm, dass Corys Schleiereule letztes Jahr gestorben ist. Die hätte ein großartiges Requisit abgegeben.“
    „Ein Requisit, das bei der ersten Gelegenheit in die Kronleuchter entfleucht wäre. Danke, das hier reicht vollkommen.“ Calliope schulterte ihren Schild, auf dessen Vorderseite eine Emaille-Eule prangte. „Sollen wir?“
    Athene erschien schließlich nie zu spät zur Schlacht.
    Acropolis House, das riesige Palais des Duke of Averton, unterschied sich deutlich von den üblichen Aristokratenvillen der Stadt: kein schlichter weißer Stein, keine ordentlichen Reihen bescheidener roter Ziegel; für den Duke musste es etwas Besonderes sein. Er residierte in einer mittelalterlich anmutenden Festung mit dicken dunklen Steinmauern mit allerlei Türmchen und Schornsteinen. Die Läden aller Flügelfenster standen offen, um das Licht zahlloser Kerzen hinauszulassen. Das Gebäude stand zurückgesetzt in einem Garten, der von hohen Mauern umgeben war. Die Tore mit ihren schmiedeeisernen Spitzen, normalerweise fest verschlossen, standen heute weit offen, um einen endlosen Strom von Kutschen hineinzulassen. Als ihre Kutsche das Tor passierte, sah Calliope finstere Wasserspeier lüstern zu ihr herunterblicken. Strategisch auf den Torpfosten und der Mauerkrone platziert, sollten sie wohl die Neugierigen abschrecken.
    „Man könnte meinen, der Duke wäre Karl der Große“, bemerkte Thalia. „Seht mal, der Obelisk da drüben im Garten! Mindestens sechs Meter hoch.“
    „Schrecklich protzig“, stimmte ihr Vater zu, doch Calliope meinte in seinen Augen einen Funken Neid aufblitzen zu sehen. „Wo er den wohl herhat? Die Hieroglyphen sind recht gut erhalten.“
    „Bestimmt irgendwoher, wo er nichts zu suchen hatte“, meinte Clio schroff.
    Calliope verkniff sich eine Antwort, denn just in diesem Augenblick hielt ihre Kutsche vor den wuchtigen, eisenbeschlagenen Vordertüren. Die Lakaien des Dukes, in altgriechische Kostüme gewandet, eilten herbei, um ihnen beim Aussteigen zu helfen. Calliope umklammerte Speer und Schild und folgte der grün glitzernden Clio in die Höhle des Löwen.
    Das hohe achteckige Foyer, in dem ganz konventionell gekleidete Diener ihre Umhänge in Empfang nahmen, hatte einen schwarz-weißen Marmorboden und dunkel vertäfelte Wände. Kerzen in hohen schmiedeeisernen Ständern – die einzigen Lichtquellen – warfen ihren unsteten Schein auf fest verschlossene Türen, minoische Fresken voller schlanker Stierspringer, Rüstungen, gestachelte Streitkolben, Schwerter sowie zwei massige Löwenstatuen, die vor einer der Tür wachten,

Weitere Kostenlose Bücher