Betörend wie der Duft der Lilien
als läge dahinter das alte Persien.
„Gott, was für einen ausgefallenen Geschmack unser Gastgeber hat“, murmelte Clio, während sie sich in den Strom der Kostümierten einreihten, die über die geschwungene Treppe zum Ballsaal hinaufstiegen.
„Das ist noch vorsichtig ausgedrückt.“ Calliope beäugte die Schätze in den Nischen: Skulpturen, Vasen und Amphoren, sogar byzantinische Ikonen – beeindruckende Stücke, gekonnt restauriert und elegant präsentiert. Doch Calliope fand keinen rechten Gefallen an ihnen. Während auf den Antiquitäten ihres Vaters Göttinnen und Musen, weise Gelehrte und fröhliche Feste abgebildet waren, hatten die hiesigen Stücke allesamt Gewalt zum Thema: Schlachten, Kämpfe, Tieropfer. Sogar die Ikonen zeigten Folteropfer und Bluttaten: Heilige Märtyrer und Sankt Georg, der sein Schwert in den Drachen rammte.
Verstört wandte Calliope sich ab.
Je höher sie stiegen, desto lauter schwoll der Festlärm an. Calliope hatte normalerweise nichts übrig für Empfänge, die als umso gelungener galten, je dichter das „schreckliche Gedränge“ war. Ernsthafte Gespräche waren in dieser Geräuschkulisse kaum möglich, es war zu warm, die Luft verbraucht. Heute Abend war ihr das Gewimmel jedoch willkommen, denn es verlieh dem grotesken Haus ein wenig Normalität.
Der Ballsaal war nicht so gespenstisch wie das Foyer und das Treppenhaus: ein großer, heller Raum mit weißen Wänden und glänzendem Parkett. Die gewölbte Decke schmückte ein detailreiches Fresko eines antiken Banketts, auf dem ausnahmsweise niemand irgendwen umbrachte. An den Wänden waren weitere Fresken mit beschaulichen, häuslichen Szenen zu sehen, die zweifellos von italienischen Villen abgelöst worden waren. Einige Marmorstatuen und Gemälde von spärlich bekleideten Nymphen, Satyrn und Gottheiten, die ähnlich gekleidet waren wie die Gäste des heutigen Abends, rundeten das Bild ab.
Wie Calliope vermutet hatte, fand sich unter den Tänzern, den Konversationsgrüppchen und den Gästen, die mit einem äußerst ungriechischen Hummerpastetchen in der Hand zwischen den Statuen flanierten, niemand, dessen Kostüm annähernd so ausgefallen war wie Clios. Immerhin gab es einen riesigen, stark behaarten Minotaurus, der sich von Ariadne umgarnen ließ, einige Achills und Hektors und ein paar kichernde Aphroditen, jeweils in Begleitung eines Ares und eines Cupido. Ihr Vater fand sogleich Anschluss an eine Philosophenrunde in einer Ecke, und Thalia wurde von einem Orpheus zum Tanz gebeten, sodass sie beide ihre Leiern in die Obhut eines Lakaien geben mussten.
Calliope klemmte sich den Speer unter den Arm und nahm ein Glas Champagner vom Tablett eines Dieners. Der perlende Trank war von höchster Qualität und passte hervorragend zu der exotischen Kulisse, der heiteren Musik und dem Gelächter. Einen Augenblick lang fühlte sie sich aus dem London der Gegenwart in eine bunte Fantasiewelt versetzt. Sie hob das Glas gegen das Licht und freute sich an den zarten Bläschen.
„Stimmt etwas nicht mit dem Champagner, Miss Chase?“
Calliope fuhr herum und sah sich dem lächelnden Gastgeber gegenüber. Als Dionysos verkleidet, wirkte er ebenso seltsam wie sein Haus: Über dem Chiton trug er ein Leopardenfell, und sein langes rotgoldenes Haar fiel offen über seine Schultern. Dionysos, der Gott des Weins und der Raserei.
Calliope erstarrte unter seinem intensiven Blick. „Keineswegs, Euer Gnaden. Er ist hervorragend, genau wie die Dekoration. Ihr Haus ist höchst … ungewöhnlich.“
„Fürwahr ein hohes Lob aus dem Mund einer Chase-Muse. Sie sind doch alle Kunst- und Altertumsexpertinnen, nicht wahr?“
„Ich würde uns nicht als Expertinnen bezeichnen. Wir treiben nur ein wenig private Studien.“
„Und Sie haben sich auf strategische Kriegsführung spezialisiert?“, fragte er mit Blick auf den Schild der Athene.
„Und auf Oliven“, erwiderte sie kess.
„Ach ja. Es war Athene, auf deren Befehl die Hügel ihrer Akropolis mit Ölbäumen bepflanzt wurden, nicht wahr? Der Quell des Wohlstands ihrer Jünger.“
„Bis habgierige Diebe die Bäume ausrissen, um darunter vergrabene Schätze zu suchen. Jetzt versinkt das glorreiche Athen im Staub, wie man hört.“
Der Duke lachte. „Meine liebe Miss Chase, wie edel von Ihnen, ein Volk zu verteidigen, das Sie gar nicht kennen! Doch bedenken Sie, was alles verloren gegangen wäre, wenn Ihre sogenannten habgierigen Diebe auf der Akropolis keine Grabungen durchgeführt
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