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Betörend wie der Duft der Lilien

Betörend wie der Duft der Lilien

Titel: Betörend wie der Duft der Lilien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: AMANDA MCCABE
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zurückhaltend bei ihrem Vater, dessen alter Freundin Lady Rushworth und dem Vorsitzenden der Altertumsgesellschaft, Lord Knowleton, stand. „Meine Schwester meint übrigens, unser Leben sei öde und immer gleich; wir würden nie etwas Außergewöhnliches erleben. Von daher sollte ich mir für Yorkshire keine großen Hoffnungen machen.“
    „Und was meinen Sie? Finden Sie Ihr Dasein auch öde, Miss Chase?“
    Nicht, wenn Sie in der Nähe sind, dachte Calliope. Seit er in ihr Leben getreten war, war die Routine dahin. „Wie könnte ich? Schließlich ist ein Dieb unter uns, und unsere Adeligen werden in ihren eigenen vier Wänden beinahe totgeschlagen. So viel Aufregung ist sicher nicht gut für die Gesundheit.“
    „Dann sind Vogelstudien auf dem Lande gewiss Balsam für Ihre Seele.“
    Bevor Calliope antworten konnte, wurden die Türen zum Vortragssaal geöffnet, und alles strömte hinein, um diskret um die besten Plätze zu wetteifern. Ihr Vater, Clio und Lady Rushworth verschwanden in der Menge. „Ich sollte mich meinem Vater anschließen“, sagte sie.
    „Ich komme mit.“ Cameron bot ihr seinen Arm an. „Es wäre mir eine Ehre, bei den Chases zu sitzen und mich an ihrem profunden historischen Wissen zu laben.“
    Sie legte die Hand auf seinen Arm, was ihr inzwischen fast schon natürlich vorkam. „Nun gut – solange Sie keine gehässigen Kommentare flüstern, um uns zum Lachen zu bringen.“
    „Würde ich so etwas je tun?“, fragte er, scheinbar brüskiert.
    „… wie Sie hier sehen, tragen die jungen Prozessionsteilnehmerinnen Gefäße, um ihren Göttern Trankopfer darzubringen – in diesem Fall der Athene. Da sind Oinochoen, also Weinkannen, und Phialen, also Opferschalen, und hier ist ein Weihrauchständer oder Thymiaterion. Die Bedeutung der Jungfrauen an dieser Seite bleibt jedoch unklar.“
    Calliope versuchte, sich auf den kleinen Gelehrten mit der dicken Brille zu konzentrieren, der auf die einzelnen Gestalten auf den großen Skizzen des Parthenonfrieses zeigte, die hinter dem Podium aufgehängt worden waren. Doch es fiel ihr schwer, sich auf die Szenen einzulassen, die ihr aus all den Tagen im British Museum so vertraut waren. Sogar das bloße Stillsitzen wurde zur Qual, solange Cameron neben ihr saß.
    Er blickte stur nach vorn, aber immer, wenn sie ihm aus den Augenwinkeln heraus einen raschen Blick zuwarf, war ihr, als unterdrücke er mühsam ein Grinsen. Irgendwann ertappte er sie bei einem dieser Blicke und zog die Augenbraue hoch.
    Calliope fixierte demonstrativ die Schautafeln. Dieser schreckliche Mensch! Müllers Vortrag war überhaupt nicht komisch, sondern nur ein wenig … trocken. Warum stand sie dann die ganze Zeit kurz davor, loszuprusten?
    Clio, die an ihrer anderen Seite saß, flüsterte ihr zu: „Muss ich jetzt Miss Rogers spielen, Calliope?“
    Miss Rogers – eine besonders strenge Gouvernante, deren Blicke töten konnten und die gerne mit dem Rohrstock drohte – hatte es damals bei den jungen Musen nicht lange ausgehalten. Thalia hatte ihrem Gastspiel mit einem Beutel voller Frösche rasch ein Ende bereitet. „Bloß nicht.“
    „Dann verrat mir gefälligst, warum du lachst, bevor ich vor Langeweile eingehe.“
    „Keine Ahnung“, räumte Calliope ein.
    „… und hier sehen wir die neun Archonten von Athen – vermutlich jedenfalls“, fuhr Herr Müller fort.
    „Ich verspüre bei Ihnen eine gewisse Unruhe, Miss“, flüsterte Cameron. „Wie wollen Sie die Prüfungen bestehen, wenn Sie dem Unterricht nicht folgen?“
    „Still, oder ich muss Sie kneifen“, zischte Calliope. Im tiefsten Yorkshire mit Herrn Müller – eine einzige Folter! Der Liliendieb und das Rätsel um seine Missetaten erschienen ihr in einem anderen Licht: als willkommene Ablenkung.
    Sofern sie die Tage in Camerons Gesellschaft überstand, ohne sich vollends zur Närrin zu machen.
    Sie faltete die Hände im Schoß zusammen und versuchte sich zu sammeln, aber als Herr Müller sich über die nächsten Prozessionsteilnehmer ausließ, schwangen die Saaltüren auf, und alle drehten sich um, um den Störenfried zu mustern. Ein Wispern lief durch das Auditorium; sogar Herr Müller verstummte.
    „Ein Rachegeist!“, entfuhr es Lotty, die hinter Calliope saß.
    Doch kein Gespenst, sondern etwas viel Schrecklicheres hatte sich Zutritt verschafft: der Duke of Averton. Im hellen Rechteck der Türöffnung verweilte er einen Augenblick, sodass der Pelzbesatz seines schwarzen Umhangs zur Geltung kam.
    Ein

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