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Betörend wie der Duft der Lilien

Betörend wie der Duft der Lilien

Titel: Betörend wie der Duft der Lilien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: AMANDA MCCABE
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ausbrüten?
    Die Haustür wurde aufgerissen, kaum dass die Kutsche zum Stehen kam, und Emmeline lief ihnen strahlend entgegen. „Das seid ihr ja endlich! Es war so langweilig ohne euch.“
    „Langweilig? In Herrn Müllers Gegenwart?“, fragte Calliope mit Unschuldsmiene, als sie ausgestiegen war.
    Emmeline lachte. „Er weiß schon eine Menge, aber ich bin froh, dass er seine Weisheit jetzt über ein größeres Auditorium verteilen kann. Wo ist überhaupt euer Vater? Papa ist ganz versessen darauf, ihm die Grabstele zu zeigen, die er kürzlich erworben hat.“
    „Er hat im letzten Dorf Halt gemacht, um sich das kleine Museum anzusehen“, erklärte Clio. „Sächsische Pfeilspitzen …“
    „Hauptsache, ihr seid da! Kommt, es gibt gleich Tee.“ Emmeline führte sie hinein. Nach einem kurzen Marsch durch die zugigen Bogengänge gelangten sie über eine schmale Treppe in ein modernes Wohnzimmer, vor dessen Kaminfeuer bereits Lotty und ihre Familie Platz genommen hatten. Die Dienstmädchen brachten gerade das Teeservice.
    „Ich muss euch erzählen, was ich schon alles geplant habe“, sagte Emmeline, während sie Tee einschenkte und den Kuchen aufschnitt. „Es gibt so viele Ruinen zu besichtigen! Wir können sogar an die Küste, wenn ihr wollt. Robin Hood’s Bay ist nicht allzu weit weg, und es ist furchtbar spannend.“
    „Zu den Schmugglern? Ja, unbedingt!“, rief Thalia. „Ich habe noch nie Schmugglerhöhlen gesehen.“
    „Das wird sich so bald nicht ändern“, meinte Clio. „Schmuggler lassen von Berufs wegen nicht jeden in ihre geheimen Verstecke, weißt du?“
    „Ach, Clio“, murrte Thalia. „Seit wann bist du so eine Spielverderberin?“
    Auf der Treppe waren Schritte und eine Frauenstimme zu hören. „Da ist Mutter“, sagte Emmeline. „Psst! Kein Wort mehr über Schmuggler, sonst ist es aus mit dem Ausflug.“
    Als Lady Kenleigh, die ihrer Tochter mit ihrer warmherzigen Ausstrahlung sehr ähnelte, das Zimmer betrat, drehte sich das Gespräch um London und um harmlose Pläne für die ersten Spaziergänge.
    Während sie plauderten und ihren Tee tranken, bemerkte Calliope erleichtert, dass sie ganze zwanzig Minuten nicht an Cameron gedacht hatte. Und sie hatte auch nicht gefragt, ob er ebenfalls unter den Gästen sein würde: sicherlich ein Zeichen, dass ihre Besessenheit nachließ.
    Als Cameron die Bergkuppe erreicht hatte, betrachtete er die graugrüne Landschaft unter ihm. Die weiten Moore schienen sich meilenweit in alle Richtungen zu erstrecken. Vor ihm wand sich der Weg ins Dorf wie ein rosa Band durch die Heide, aber das einzige lebende Geschöpf, das er sah, war sein eigenes Pferd, das am Fuß des steilen letzten Aufstiegs graste.
    Kein Wunder, dass die Römer in der Nähe eine Festung errichtet hatten, von der jetzt nur noch einige Mauerreste übrig waren. Von hier aus konnten ihre Blicke ungehemmt über die freie, magische Landschaft schweifen.
    Cameron nahm den Hut ab und ließ den Wind sein Haar zerzausen und seine Stirn kühlen. Er war viel zu lange in der Stadt gefangen gewesen, in den engen Straßen mit ihrem Gedränge und Gestank. Hier roch die Luft nur nach Erde, Torf, Heide und einem Hauch von Holzfeuer. Endlich war er allein, allein mit dem Wind und dem Licht und den alten Geistern der Festung.
    Allein – bis auf die Gedanken an Calliope Chase. Bis hier oben verfolgte ihn die Erinnerung an ihre dunklen Augen. An ihren schlanken Körper, der sich so warm und geschmeidig anfühlte. Den Geschmack ihrer Lippen, ihre wundervolle, unschuldige Leidenschaft. Die Reaktionen seines eigenen Körpers, seinen Herzschlag, der sich beschleunigt hatte, sobald ihm ein Hauch ihres Duftes in die Nase gestiegen war.
    Und an ihr Davonlaufen. Kein einziges Mal hatte sie sich umgedreht.
    Wie hatte es ihn danach verlangt, ihr nachzueilen, sie festzuhalten, sie noch einmal zu küssen! Bis zur Tür des Studierzimmers war er ihr rasch gefolgt, doch dann hatte er sich gebremst.
    Etwas hatte ihn zurückgehalten, vielleicht ihr ganz und gar verwirrter Blick. Oder die Erinnerung an Averton, mit dessen Brutalität gegenüber Frauen er nicht das Geringste zu tun haben wollte. Musen waren nicht wie andere Frauen; sie schwebten über den Normalsterblichen in ihrer eigenen Welt. Sie waren seltene, kostbare Geschöpfe, die man nicht herbeizwingen konnte. Stellte man ihnen nach wie gewöhnlicher Beute, so wandten sie sich gänzlich von einem ab, entzogen einem für immer ihren Segen und ihre Gnade.
    Also hatte

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