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Beton

Beton

Titel: Beton
Autoren: Thomas Bernhard
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Menschlichkeit austreibt. Der höchste und der teuerste und tatsächlich kostbarste Grabstein, der jemals in der Geschichte errichtet worden ist, soll einem Hund errichtet worden sein. Nein, nicht in Amerika, wie man annehmen muß, in London. Diese Tatsache sich wieder klar zu machen, genügt, um den Menschen in dem richtigen Hundelicht zu zeigen. Die Frage ist auf dieser Welt ja schon lang nicht, wie menschlich einer ist, sondern wie hündisch, nur wird bis heute da, wo im Grunde, wenn der Wahrheit die Ehre gegeben werden soll, wo eigentlich gesagt werden müßte, wie hündisch ist der Mensch, gesagt, wie menschlich ist er. Und das ist das Abstoßende. Ein Hund kommt nicht in Frage. Wenn du dir wenigstens einen Hund halten würdest, hat meine Schwester unmittelbar bevor sie abgereist ist, gesagt. Nicht zum erstenmal, diese ist eine jener Bemerkungen, mit welchen sie mich seit Jahren aufbringt. Wenigstens einen Hund! Ich brauche ja keinen Hund, ich habe meine Liebhaber, so sie. Einmal hatte sie, aus Eigensinn, wie ich glaube, auf Liebhaber verzichtet, da hatte sie einen Hund, der so klein war, daß er in meiner Phantasie jedenfalls, unter ihren Stöckelschuhen hätte durchkriechen können. Sie liebte das Groteske an dieser Tatsache und ließ dem Hund, der diese Bezeichnung überhaupt nicht verdiente, ein kleines, mit einer Goldborte eingesäumtes Samtwams machen. Im Sacher bestaunte man den Hund, das war ihr so widerwärtig, daß sie das Tier ihrer Haushälterin schenkte, die es ihrerseits weitergab, natürlich. Wie ja meine Schwester immer von allem Ausgefallenen fasziniert ist, aber dann, aus guten Gründen, und weilsie doch einen gehobeneren Verstand hat, dieses Ausgefallene nicht auf die Spitze treibt, soweit, daß es als tatsächlich lächerlich betrachtet werden könnte. Oder eine Reise, sagte sie. Du solltest wegreisen. Wenn du nicht bald wegreist, verkommst du, gehst ein. Ich sehe schon, wie du in einem deiner Winkel zuerst verrückt wirst und dann verkommst. Reisen! Meine Vorliebe früher, meine einzige Leidenschaft. Aber jetzt bin ich ja für jede Reise viel zu schwach, sagte ich mir, es ist nicht einmal daran zu denken, wegzureisen. Und wenn, wohin? Möglicherweise, dachte ich, ist das Meer meine Rettung. Dieser Gedanke setzte sich in mir fest, von diesem Gedanken konnte ich nicht mehr wegkommen. Ich griff mir an den Kopf und sagte: das Meer! Ich hatte mein Zauberwort. Wenn wir reisen, werden wir, wenn wir noch so abgestorben sind, wieder lebendig. Aber bin ich denn imstande zu reisen, gleich wohin? Alle meine Reisen, die ich jemals gemacht habe, hatten Wunder gewirkt. Unsere Eltern hatten uns Kinder schon sehr früh auf ihre Reisen mitgenommen und auf diese Weise haben wir schon vor dem zwölften und dreizehnten Jahr viel gesehen. Wir waren in Italien, in Frankreich, wir waren in England und in Holland, wir hatten Polen kennengelernt und Böhmen und Mähren und tatsächlich hatten wir schon mit dreizehn einen Aufenthalt in Nordamerika hinter uns gehabt. Später habe ich, aus eigenem Antrieb und wann immer es mir nur irgend möglich gewesen war, größere Reisen gemacht, ich bin in Persien gewesen, in Ägypten, in Israel, im Libanon. Ich hatte mit meiner Schwester Sizilien bereist und wochenlang in Taormina verbracht, in dem berühmten Hotel Timeo unter dem griechischen Theater, ich hatte eine zeitlang in Palermo gewohnt, auch in Agrigent, ganz in der Nähe des Hauses, in welchem Pirandello gelebt und geschrieben hat. Ich war mehrere Male in Calabrien und selbstverständlich auf jeder Italienreise in Rom und Neapel gewesen und jedes Frühjahr bin ich mit meinen Eltern und mit meiner Schwester zusammen in Triest und in Abbaziagewesen. Überall hatten wir Verwandte, die wir allerdings immer nur auf das Kürzeste aufgesucht haben, denn so wie ich, haben auch meine Eltern die größte Vorliebe für den Hotelaufenthalt gehabt, sie waren, meine Mutter genauso wie mein Vater, leidenschaftliche Hotelbewohner, in den besten und schönsten fühlten sie sich genauso wie ich mehr zuhause als daheim. Ich darf gar nicht an alle diese herrlichen Paläste denken, in welchen wir Station gemacht haben. Selbst der Krieg hatte uns nicht daran hindern können, zu reisen und in den besten Häusern abzusteigen , wie mein Vater sehr oft gesagt hat. Von allen diesen Hotels sind mir das Seteais in Sintra und natürlich das Timeo in der angenehmsten Erinnerung. Als ich nicht lange zurückliegend, meinen Internisten gefragt habe, ob
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