Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Beton

Beton

Titel: Beton
Autoren: Thomas Bernhard
Vom Netzwerk:
ich an Reisen denken könne, hatte er gesagt natürlich, jederzeit , aber die Art und Weise, wie er dieses natürlich gesagt hatte, waren mir unheimlich gewesen. Andererseits sollen wir, gleichwie unser Zustand ist, jederzeit das tun, das wir tun wollen und wenn wir reisen wollen, sollen wir reisen und uns um unseren Zustand, und sei er der schlimmste, nicht kümmern, vor allem, wenn er der schlimmste ist, denn dann sind wir ja, ob wir reisen oder nicht reisen, verloren und es ist besser zu sterben und die gewünschte und wie nichts ersehnte Reise gemacht zu haben, als an diesem Wunsch und an dieser Sehnsucht zu ersticken. Eineinhalb Jahre hatte ich keine Reise mehr gemacht, das letztemal war ich, weil es mir doch der idealste Ort ist, in Palma. Im November, wenn uns der Nebel auf die grausamste Weise unter- und niederdrückt, bin ich im offenen Hemd durch Palma gelaufen und habe tagtäglich auf der berühmten Borne im Schatten der Platanen meinen Kaffee getrunken; und es war mir gerade in Palma möglich gewesen, die entscheidenden Notizen über Reger zu machen, die ich allerdings später verloren habe, ich kann bis heute nicht sagen, wo, eine zwei Monate lange Geistesanstrengung durch eine Selbstunvorsichtigkeit zunichte gemacht, unverzeihlich. Wenn ich nur daran denke,auf der Terrasse des Nixe Palace meine Oliven zu essen und mein Glas Wasser zu trinken, während ich ganz in die Beobachtung dieser Leute, die auf dieser Terrasse ihren Wünschen und Ideen anhängen wie ich, nicht versunken, sondern vernarrt bin! Wir merken oft nicht, daß wir uns von dem Punkt, auf dem wir festkleben, ganz einfach mit aller Gewalt von einem Augenblick auf den andern abreißen müssen, um weiterexistieren zu können. Meine Schwester hat recht, immerfort das Wort Reise im Mund zu führen in meiner Gegenwart, sie peitscht mir das Wort Reise ja ununterbrochen ein, sage ich mir, sie sagt nicht nur alle Augenblicke beiläufig das Wort Reise, sie verfolgt diesen bestimmten Zweck meiner Existenzerrettung. Der Betrachter durchschaut einen Menschen, den er betrachtet, naturgemäß rücksichtsloser und authentischer als der Betrachtete sich selbst, sagte ich mir. Es gibt so viele herrliche Städte auf der Welt, Landschaften, Küsten, die ich in meinem Leben gesehen habe, aber keine von diesen allen ist für mich jemals so ideal gewesen wie Palma. Aber was, wenn ich dann in Palma einen meiner gefürchteten Anfälle bekomme, wenn ich ohne tatsächliche ärztliche Hilfe in meinem Hotelbett liege in Todesangst? Wir müssen den fürchterlichsten aller Fälle in Betracht ziehen und diese Reise trotzdem machen, sagte ich mir. Aber ich kann doch nicht meine ganzen Notizenhaufen mitnehmen, sagte ich mir gleichzeitig, die schwer in zwei Koffer hineingehen und mehr als zwei Koffer nach Palma mitzunehmen, ist Wahnsinn. Allein die Vorstellung, ich müsse mit zwei oder gar drei Koffern auf die Bahn und in den Zug und vom Zug auf den Flugplatz und da in ein Flugzeug undsofort, machte mich beinahe verrückt. Aber ich gab den Gedanken an Palma und das Meliá, nachdem das Mediterraneo seit Jahren für immer geschlossen ist, nicht mehr auf. Ich hatte mich in diesem Gedanken festgesetzt, umgekehrt dieser Gedanke in mir. Ich ging im Haus hin und her, auf und ab, hinauf und wieder zurück herunter und konnte von demGedanken, Peiskam hinter mich zu lassen, nicht mehr getrennt werden; aber tatsächlich machte ich ja nicht den geringsten Versuch, mich von diesem Gedanken an Palma zu befreien, im Gegenteil, schürte ich ihn ununterbrochen und trieb ihn schließlich auf die Spitze, indem ich meine zwei großen Reisekoffer aus der Vorhaustruhe heraushob und sie neben die Truhe hinstellte, als reiste ich tatsächlich ab. Wir dürfen andererseits, sagte ich mir, nicht gleich einem solchen urplötzlich aufgetauchten Gedanken nachgeben, wo kämen wir auf diese Weise hin. Aber der Gedanke war da und ich stellte die Koffer zwischen Truhe und Tür und betrachtete sie von einem für eine solche Betrachtung günstigen Winkel aus. Wie lange habe ich diese Koffer nicht mehr aus der Truhe herausgenommen!, sagte ich mir. Viel zu lange nicht. Tatsächlich waren die Koffer, obwohl die ganze Zeit seit meiner letzten Reise, also meiner letzten Palmareise, in der Truhe verstaubt und ich holte ein Staubtuch und wischte sie ab. Das verursachte mir aber gleich die größte Übelkeit. Ich hatte nicht einmal einen Koffer vom Staub gesäubert, mußte ich mich schon an der Truhe aufstützen, eine
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher