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Beton

Beton

Titel: Beton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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wie ich glaubte, ihr sie aufeinmal langweilendes Wien? Fragte ich sie, hätte ich eine ihrer charmanten Lügen auf dem Kopf. Pred-ni-so-lon, ich sagte es ein paarmal ganz langsam und so, wie ich es gerade hier aufgeschrieben habe, vor mich hin. Die Ärzte gehen nicht viel tiefer, als bis in die Oberfläche. Sie versäumen immer alles, genau das, das Versäumen, werfen sie aber fortwährend ihren Patienten vor. Die Ärzte haben kein Gewissen, sie verrichten nur ihre medizinische Notdurft. Aber wir fliehen doch immer wieder zu ihnen, weil wir nicht an diese Tatsache glauben können. Wenn ich diese Koffer auch nurdie kürzeste Strecke selbst trage, kann das mein Ende sein, sagte ich mir. Wir rufen wie in alter Zeit sozusagen das Wort Träger , aber es gibt keinen mehr. Die Träger sind ausgestorben. Packe jeder seine Sachen wie er will. Die Welt ist um einige Grade, ich will nicht genau ausrechnen, um wieviele, kälter geworden, die Menschen sind viel grausamer, rücksichtsloser. Aber das ist alles ein vollkommen natürlicher Verlauf, mit dem wir haben rechnen müssen und den wir, weil wir nicht dumm sind, vorausgesehen haben. Die Kranken verbünden sich aber nicht gern mit den Kranken und die Alten nicht gern mit den Alten. Sie rennen voreinander davon. Ins Verderben. Jeder will leben, keiner tot sein, alles andere ist Lüge. Am Ende sitzen sie im Fauteuil, in irgendeinem Ohrensessel und phantasieren sich eine Existenz zusammen, die sie existiert haben und die doch nicht das geringste mit ihrer eigenen Existenz zu tun hat. Es müßte nur glückliche Menschen geben, alle Voraussetzungen dazu sind da, aber es gibt nur unglückliche. Wir begreifen das erst spät. Solange wir jung sind und uns nichts weh tut, glauben wir nicht nur an das ewige Leben, wir haben es. Dann der Bruch, dann der Zusammenbruch, dann die Lamentation darüber und das Ende. Es ist immer dasselbe. Einmal habe ich Lust gehabt, das Finanzamt zu betrügen, nicht einmal mehr dazu habe ich Lust, sagte ich mir. Ich lasse mir von jedem, der es will, in die Karten schaun. Im Augenblick denke ich so. In diesem Augenblick. Die Frage ist eigentlich nur, wie wir möglichst schmerzfrei den Winter überstehen. Und das noch viel grausamere Frühjahr. Und den Sommer haben wir immer gehaßt. Der Herbst bringt uns dann wieder um alles. Dann ließ sie den entzückendsten Busen sehen, den die Welt je gesehen hatte , Zadig. Ich weiß nicht, warum mir dieser Satz gerade einfiel und mich zum Lachen brachte. Es ist auch nicht notwendig, allein daß ich völlig unvorhergesehen lachte, ist entscheidend. Über einen Gegenstand, unter welchem ich mich nicht zu schämen brauchte. Wir kommen periodisch in Erregungenhinein, die manchmal wochenlang anhalten können und nicht abzustellen sind, aufeinmal sind sie weg, wir existieren schon längere Zeit in einer Beruhigung. Aber wir können nicht mit Bestimmtheit sagen, wann die Beruhigung eingesetzt hat. Es hatte jahrelang genügt, zu den Holzfällern zu gehn und sich mit ihnen über ihre Arbeit zu unterhalten. Warum genügt es jetzt schon lange nicht mehr? Zwei Stunden geradeaus und wieder zurück im Winter, tagtäglich, eine Kleinigkeit, alles heute unmöglich, dachte ich. Die billigen Methoden haben sich alle abgenützt, Besuche, Zeitunglesen etcetera, auch die Lektüre der sogenannten höheren Literatur hat nicht mehr die Wirkung, die sie einmal gehabt hat. Wir fürchteten aufeinmal das Geschwätz, vor allem das, das die sogenannten bekannten und berühmten, aber um so widerlicheren Journalisten des Feuilletons ununterbrochen schwätzen. Und von diesem widerlichen Geschwätz haben wir uns jahrelang, jahrzehntelang zudecken lassen. Allerdings bin ich nie in die Lage gekommen, meine Hose versetzen zu müssen, um ein Telegramm aufgeben zu können, wie Dostojevski, was vielleicht doch ein Vorteil gewesen ist. Relativ unabhängig, könnte ich sagen. Und doch wie alle gefesselt und gefangen. Mehr vom Ekel getrieben, als von der Neugierde besessen. Wir redeten immer vom klaren Verstand, hatten aber nie einen, ich weiß nicht, woher ich den Satz habe, vielleicht von mir selbst, aber irgendwo habe ich ihn gelesen, vielleicht findet er sich einmal unter meinen Notizen. Wir sagen Notizen, um uns nicht genieren zu müssen, obwohl wir insgeheim glauben, daß diese von uns ganz verschämt als Notizen bezeichneten Sätze, mehr sind. Aber wir glauben von allem, das uns betrifft, immer, daß es mehr ist. Daran hanteln wir uns über den Abgrund,

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