Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Beton

Beton

Titel: Beton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
Vom Netzwerk:
Selbstverleumdung und Selbstverspottung fort. Ich will ja nichts anderes, als den Zustand, in welchem ich mich befinde, der direkt aus der Welt hinausführt, wie ich dachte, was ich mich aber tatsächlich nicht zu mir selbst zu sagen getraute, hinausziehen, ich spiele mit diesem Zustand und ich spiele solange mit diesem Zustand, wie ich will. Solange, wie ich will, sagte ich mir jetzt vor und dann horchte ich, hörte aber nichts. Die Nachbarn, dachte ich, halten mich seit vielen Jahren für einen Verrückten, diese Rolle, denn eine solche ist es in dem ganzen mehr oder weniger unerträglichen Theater, ist mir erstklassig auf den Leib geschneidert. Solange ich will, sagte ich wieder zu mir, ich hörte mich aufeinmal gern sprechen, was etwas Neues war im Augenblick, denn ich haßte schon jahrelang meine Stimme, verabscheute mein Organ. Wie kann ich auch nur einen Augenblick daran denken, mich zu beruhigen, dachte ich, wenn alles in mir so voller Aufregung ist? Und ich versuchte es mit einer Schallplatte, mein Haus hat die beste Akustik, die sich denken läßt und ich füllte es an mit der Haffnersymphonie. Ich setzte mich und machte die Augen zu. Was wäre alles ohne die Musik, ohne Mozart!, sagte ich mir. Immer wieder ist es die Musik, die mich rettet. Indem ich mir immer wiederselbst mit geschlossenen Augen das mathematische Rätsel der Haffnersymphonie löste, was mir immer das größte aller Vergnügen gemacht hat, beruhigte ich mich tatsächlich. Gerade Mozart ist für meine Arbeit über Mendelssohn Bartholdy der wichtigste, aus Mozart erklärt sich mir alles, denke ich, ich muß von Mozart ausgehen. Habe ich der Kienesberger das ihr zustehende Geld gegeben? Ja. Habe ich auch alle Medikamente eingepackt? Ja. Habe ich alle notwendigen Bücher und Schriften eingepackt? Ja. Habe ich das Jägerhaus inspiziert? Ja. Habe ich meiner Schwester gesagt, daß sie mir den Betrag für das Tapezieren ihres Zimmers in Peiskam, den ich ursprünglich von ihr gefordert habe, nicht bezahlen muß? Ja. Habe ich dem Gärtner gesagt, wie er die Bäume zu beschneiden hat im Jänner? Ja. Habe ich dem Internisten gesagt, daß ich jetzt auch in der Nacht auf der rechten, nicht nur auf der linken Seite des Brustkorbs Schmerzen habe? Ja. Habe ich der Kienesberger gesagt, daß sie die ostseitigen Jalousien nicht aufmachen soll? Ja. Habe ich ihr gesagt, daß sie zwar heizen soll während meiner Abwesenheit, aber nicht alles über heizen? Ja. Habe ich den Schlüssel zum Jägerhaus abgezogen? Ja. Habe ich die Tapeziererrechnung bezahlt? Ja. Ich fragte mich und ich antwortete mir. Aber die Zeit wollte nicht vergehen. Ich stand auf und ging ins Vorhaus hinunter und begutachtete meine Koffer, ob sie auch fest genug verschlossen sind, wollte ich wissen und kontrollierte die Verschlüsse. Warum tue ich mir alles das an?, fragte ich mich. Ich setzte mich in das untere Ostzimmer und betrachtete das Bild meines Onkels, der einmal Botschafter in Moskau gewesen war, wie auf dem Bild ersichtlich. Gemalt von Lampi, hat es auch einen höheren künstlerischen Wert, als ich ursprünglich angenommen habe. Ich liebe dieses Bild, mein Onkel erinnert mich an mich. Aber er ist älter geworden, als ich werde, dachte ich. Ich hatte schon meine Reiseschuhe an, alles an mir war mir zuviel, alles war mir zu eng und zu schwer. Und dann auch noch den Pelz, dachte ich. Wäre es nicht besser,sich in den Voltaire zu vertiefen, wie ich vorgehabt habe, in den geliebten Diderot, als aufeinmal wegzugehen und alles, das mir im Grunde so lieb ist, zu verlassen. Ich bin ja nicht der gefühllose Mensch, als der mich so mancher sieht, weil er mich so sehen will, weil ich mich sehr oft auch so zeige, weil ich mich sehr oft auch nicht so zu zeigen getraue, wie ich bin. Aber wie bin ich? Die Selbstspekulation hatte mich wieder eingeholt. Ich weiß nicht, wieso, aber aufeinmal dachte ich, daß ich vor fünfundzwanzig Jahren, also so knapp über zwanzig, Mitglied der sozialistischen Partei gewesen bin. Es war zum Lachen! Meine Mitgliedschaft hat nicht lange gedauert. Wie alles andere auch, hatte ich sie nach ein paar Monaten aufgekündigt. Daß ich einmal Mönch werden wollte! Daß ich tatsächlich einmal den Gedanken gehabt habe, katholischer Priester zu werden! Und daß ich einmal achthunderttausend Schilling für die Hungernden in Afrika gespendet habe! Und daß das wahr ist! Zu seiner Zeit empfand ich alles das als folgerichtig, als selbstverständlich. Heute habe ich dazu nicht mehr

Weitere Kostenlose Bücher