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Beton

Beton

Titel: Beton
Autoren: Thomas Bernhard
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mehrere Studien angefangen, gleichzeitig mehrere und bin in allen diesen Studien gleich, wie ich es hätte voraussehen können, gescheitert. Ein mathematisches Studium hatte ich mir eingeredet, ein philosophisches, aber bald hatte mich die Mathematik, bald hatte mich die Philosophie abgestoßen, wenigstens die Mathematik, die auf der Universität gelehrt wird, die Philosophie, die dort gelehrt wird und die ja gar nicht gelehrt werden kann. Dann war es aufeinmal die Musik gewesen, die mich im wahrsten Sinne des Wortes begeistert hat und der ich mich kopfüber ausgeliefert habe. Ich stand von meinem Fauteuil auf und schaute auf die Uhr und setzte mich wieder, unfähig, noch irgendetwas vor meiner Abreise zu tun, also ließ ich mich gleich wieder in diese Phantasien fallen. Die Universitäten hatten mich abgestoßen, ich hatte mich an mehreren einschreiben lassen, das war selbstverständlich gewesen bei meinem Vater, aber ich hatte sie alle nur die kürzeste Zeit aufgesucht, Wien, Innsbruck, schließlich Graz, das mir zeitlebens verhaßte, hatte ich in dem absoluten Willen, dort ein Studium anzufangen und zu beenden, aufgesucht und war schon von Anbeginn an gescheitert. Einerseits, weil mir diese Universitäten mit ihrem jahrhundertelang abgestandenen Wissensbrei sofort den Magen und gleichzeitig natürlich den Kopf verdorben haben, andererseits, weil ich alle diese Städte nicht ausgehalten habe, Innsbruck nicht, Graz nicht, Wien auf die Dauer nicht. Alle diese Städte, die ich naturgemäß auch schon vorher, wenn auch nicht gründlich, gekannt habe, deprimierten mich auf das Niederschmetterndste und es sind ja auch, vornehmlich Graz, widerwärtige Provinznester,jede für sich hält sich für den Nabel der Welt und glaubt, den Geist gepachtet zu haben, ja, aber es ist nur der ganz primitive Kleinbürgergeist; die Abgeschmacktheit Philosophie lehrender und Literatur betreibender Schrebergärtner habe ich in diesen Städten kennengelernt, nichts sonst und der üble Geruch bornierter Gemeinheit in diesen österreichischen Kloaken hat mir von vornherein den Appetit auf einen längeren, als nur den kürzesten Aufenthalt verdorben. Und in Wien wollte ich auch nicht länger als unbedingt notwendig sein. Aber, um die Wahrheit zu sagen, verdanke ich doch der Stadt Wien, daß ich auf die Musik gekommen bin, auf das Alleridealste, muß ich sagen. So sehr ich diese Stadt verachte und verdamme und so widerwärtig sie mir die meiste Zeit immer gewesen ist, ihr verdanke ich schließlich den Zugang zu unseren Komponisten, zu Beethoven, zu Mozart, zu Wagner selbst und natürlich Schubert, den zwischen gerade diesen aufgezählten zu nennen, mir allerdings schwer fällt, und ich verdanke natürlich vor allem die neuere und neueste Musik dieser Stadt, von welcher mein Vater nur als von der unverschämtesten gesprochen hat. Schönberg, Berg, Webern etcetera. Und daß ich in meinen beinahe zwanzig Wiener Jahren durch und durch der Stadtmensch geworden bin, der ich dann immer zu sein hatte, ob ich wollte oder nicht, meine Wiener Jahre, zuerst mit meiner Schwester zusammen, dann allein, zuerst in der Inneren Stadt, dann im Hause meines Döblinger Onkels, in der Hasenauerstraße, wo ich ein ganzes Haus für mich hatte, meine Wiener Jahre hatten mich für Peiskam endgültig verdorben. Mir Peiskam im Grunde unmöglich gemacht. Ich war ja nie der Naturmensch gewesen, der für ein Leben in Peiskam notwendig ist. Aber die Krankheit hat mich schließlich aus den Konzertsälen heraus nach Peiskam zurückgetrieben, meiner Lunge wegen habe ich mich von Wien und das hieß, von allem, das mir etwas wert gewesen war damals, zu trennen gehabt. Diese Trennung habe ich nie überwunden. Aber wäre ich in Wien geblieben, hätte ichnurmehr noch die allerkürzeste Zeit zu existieren gehabt. Peiskam war beinahe zwanzig Jahre nach dem Tod unserer Eltern leergestanden, es war der Natur überlassen gewesen. Niemand hatte geglaubt, in Peiskam könne jemals wieder ein Mensch einziehen, aber eines Tages war ich doch wieder eingezogen, hatte die Fenster aufgerissen in allen Richtungen und nach Jahren zum erstenmal wieder frische Luft in das Haus hereingelassen und es mit der Zeit bewohnbar gemacht. Aber es blieb mir fremd, wenn ich ehrlich bin, bis heute, dachte ich. Ich hatte gerade in dem Augenblick auf Wien und was alles das für mich bedeutete, nämlich alles, zu verzichten gehabt, in welchem ich glaubte, ein für allemal untrennbar mit dieser Stadt verbunden zu
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