Betongold
Es war erst 10.00 Uhr und sie hatte frei; jedenfalls musste sie keine Urlaubsanträge bearbeiten, sondern konnte frei entscheiden, wo und wie sie sich auf den Termin vorbereiten wollte. Die Mädchen rechneten erst um halb drei mit ihr. Kurz entschlossen fuhr sie in die Stadt und setzte sich in eines der neuen Cafés am Theaterplatz.
Sie bestellte sich einen groÃen Cappuccino und begann in den Unterlagen zu blättern. Als Erstes fiel ihr wieder das Foto von Patrick in die Hände.
Er war schon ein hübscher Junge mit seinen braunen Locken und den stahlblauen Augen. Sein verschmitztes Lächeln erinnerte sie an Hugh Grant. Wie er jetzt wohl aussah?
Laut der Ermittlungsakte war Patrick am 6. Januar 2000 nach dem Sportunterricht nicht nach Hause gekommen, was an sich noch nicht ungewöhnlich war, weil er manchmal bei einem Freund übernachtet hatte, aber er blieb seitdem verschwunden. Der Vater hatte am nächsten Tag die Polizei verständigt, und da die ersten Anzeichen für eine Entführung sprachen, hatte eine Sonderkommission des LKA Wiesbaden unter der Leitung von Hauptkommissarin Juliane Freund, Leiterin des Dezernats Personenfahndung, die Ermittlungen übernommen.
Man hatte damals eine Entführung vermutet, da man bei einer ersten Suchaktion unweit des Hauses von Familie Langer in einem Waldstück die Sporttasche von Patrick gefunden hatte, und Patricks Vater, ein einflussreicher Politiker, damals ausgesagt hatte, dass er erpresst werden könnte. Patrick lebte mit seinem Vater alleine, die Mutter war bereits früh gestorben. Eine Haushälterin kümmerte sich tagsüber um die beiden.
Eine groà angelegte Suche mit Spürhunden, Hubschrauber, mit Wärmekameras, etc. brachte jedoch keinen Erfolg.
Es gab auch keinen Erpresserbrief, lediglich einen Hinweis von einem Schulfreund, der ihn am 6. Januar in einem silberfarbenen Wagen mit Berliner Kennzeichen erkannt haben wollte. Diese Spur, wie auch alle anderen Hinweise aus der Bevölkerung verliefen im Sande.
Juliane überflog die Protokolle, die sie nach den Gesprächen mit dem Vater und der Haushälterin angefertigt hatte. Patricks Vater war ihr von Anfang an nicht sehr sympathisch gewesen, ein aalglatter Machtmensch, der keinen Widerspruch duldete und sich sicherlich im Laufe seiner Politkarriere viele Feinde gemacht hatte. Während der Besprechungen, die meistens abends im Hause Langer stattgefunden hatten, war ihr aufgefallen, dass der Vater eigentlich keine Beziehung zu seinem Sohn gehabt haben konnte; er kannte weder seinen Tagesablauf noch seine Freunde, und wenn die Haushälterin ihm damals nicht bei den Fragen von Juliane über das Zusammenleben geholfen hätte, hätte man den Eindruck gewonnen, in dem Haus hätten zwei Menschen zusammengewohnt, die nichts voneinander wussten und sich nichts zu sagen gehabt hatten.
Die Haushälterin hatte ihr unter vier Augen von dem Tod der Mutter erzählt. Sie war bei einem Autounfall ums Leben gekommen, als sie mit dem 4-jährigen Patrick auf dem Weg in den Kindergarten war. Aus nicht geklärten Gründen war sie von der Fahrbahn abgekommen und frontal gegen einen Baum geprallt. Sie war auf der Stelle tot, Patrick überlebte wie durch ein Wunder unverletzt und man vermutete, dass eventuell eine Unachtsamkeit zu dem Unfall geführt hatte. Ein Fremdverschulden wurde nicht festgestellt.
Juliane schaute gedankenverloren auf ihre Uhr. Es war kurz nach zwölf. Wann hatte sie in den letzten Jahren mal zwei Stunden nur für sich gehabt. Sie zahlte, packte die Unterlagen in ihre braune Ledertasche, die sie von ihrem Vater geschenkt bekommen hatte, und fuhr nach Hause.
Zur gleichen Zeit war Paul Kunkel auf dem Weg zum Travel Hotel in Gravenbruch. Kurz nach dem Gespräch mit Wolf auf dem Flur war in seinem Postfach die Mail von Hoteldirektor Reiling.
Reiling schrieb, dass sein Mitarbeiter anhand des Bildes die Anwesenheit von Weishaupt am Mittwoch um 15.00 Uhr bestätigen könne. Mit welchem Gast er sich dort getroffen hatte, ging aus der Mail nicht hervor. Reiling hatte ihm jedoch ein Gespräch mit seinem Mitarbeiter Herrn Stromberg um 13.00 Uhr vorgeschlagen.
Die Zeit bis zum Termin im Hotel hatte Paul genutzt, um seinen Kumpel Dr. Gerd Kastner anzurufen, der dann für ihn einen Termin für den kommenden Mittwoch um 9.00 Uhr bei dem Sportorthopäden vereinbart hatte. Wie einfach das gehen kann, dachte er sich
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