Betongold
aber Sie sollten noch etwas warten, die Haltbarkeit eines künstlichen Knies beträgt ca. 15 Jahre und dann wären Sie knapp über sechzig und brauchen wieder ein Neues.«
»Na prima, aber es tut weh und ich kann keinen FuÃball mehr spielen.«
»FuÃball ist Gift für Ihr Knie, gehen Sie schwimmen, oder fahren Sie Fahrrad.«
»Das tue ich ja bereits, aber wie soll ich denn wissen, wann es Zeit ist für ein neues Knie?« Seine Verzweiflung steigerte sich ins Zynische.
»Das werden Sie schon merken, ich kann Ihnen eine Bandage verschreiben, das hilft etwas zur Stabilisation.«
Als er die Praxis verlieÃ, fühlte er sich alt. Tobi hatte schon recht mit seinem Kommentar. Er sah sich schon in einschlägigen Schwimmkursen für Senioren. Er könnte ja eine Kontaktanzeige aufgeben: »Alter Mann mit Austauschknie sucht Gleichgesinnte für gemeinsame Wassertretgymnastik und andere Freizeitaktivitäten.«
In der Apotheke gab er das Rezept für die Kniebandage ab und entschuldigte sich mit den Worten »Ist für den Sport«, doch auch das kam ihm nur unsicher über die Lippen. Er erstand dann noch eine weitere Flasche Nasenspray und Schmerztabletten, im Alter konnte man ja nicht genug davon haben. Der Tag ist gelaufen, dachte er und konnte nicht einmal mehr über seinen eigenen Galgenhumor lachen.
Nachdem Juliane einige Ãberlebensrationen an Tiefkühlpizzen, Dosenravioli, Joghurt und Obst für die Mädchen eingekauft hatte, packte sie alles Notwendige für die Reise in ihren kleinen blauen Reisetrolley.
Bevor sie sich auf den Weg ins Präsidium machte, hatte sie das Bild des 16-jährigen Patrick Langer eingescannt und zu ihren Kollegen ins LKA geschickt.
Es würde ungefähr zwei Tage dauern, bis die verschiedenen Versionen der Phantombilder fertig waren, die Patrick Langer zeigen sollten, wie er jetzt aussehen könnte. Um 10.15 Uhr startete sie den Käfer und tuckerte gemütlich nach Frankfurt. Der Berufsverkehr war schon durch, sie hörte Katie Melua und dachte mit gespannter Vorfreude an die Reise.
Am Flughafen stellten sie sich in die lange Reihe der Wartenden, um ihre Koffer aufzugeben. Paul hatte sich bemüht nicht zu humpeln, sein Knie schmerzte und er hoffte, dass sie nicht auf seinen Gang achtete.
Nach einer kurzen Besprechung mit Gärtner waren sie mit dem Taxi zum Flughafen gefahren, ihre Wagen hatten sie im Innenhof des Präsidiums geparkt. Julianes Bemühungen die Wartezeit bis zur Gepäckabgabe mit etwas Smalltalk zu verkürzen endeten meist mit einem kurzen »Ja« oder »Stimmt« seitens Paul. Er fühlte sich unsicher, irgendwie gehemmt, konnte seine Gedanken nicht ordnen.
Endlich konnten sie ihre Trolleys abgeben und machten sich auf den Weg zum Gate. Juliane fiel der humpelnde Gang auf, sie sagte aber nichts. Während des gesamten Fluges saÃen sie schweigend nebeneinander. Juliane saà am Fenster und beobachtete den Himmel. Paul hatte die Augen geschlossen und es sah aus, als ob er schlief. In Wahrheit war er hellwach, seine Gedanken kreisten wie Mücken in seinem Kopf, die Erinnerungen an Berlin nahmen ihn gefangen.
Es war 1988, als er als nach seiner Ausbildung bei der Trierer Bereitschaftspolizei seinen ersten Einsatz anlässlich der 1. Mai-Demo nach Westberlin kam und beschloss dort zu bleiben. Berlin hatte ihn schon immer fasziniert und die pulsierende Atmosphäre der eingeschlossenen Stadt hatte ihm das Gefühl gegeben, endlich zu leben. Er erlebte hautnah die Grenzöffnung im November 1989, sie hatten alle Hände voll zu tun die Trabbi Kolonnen von Ost- nach Westberlin in die richtigen Bahnen zu lenken; die Stadt veränderte sich und er sich mit ihr. Er lernte Barbara kennen und ein Jahr später kam seine Tochter Lea zur Welt.
Er machte schnell Karriere; die Verantwortung für seine Familie lieà ihn nicht ruhen, alles zu tun, um ihnen ein abgesichertes und angenehmes Leben zu ermöglichen. Als Kriminalkommissar im gehobenen Dienst hatte er zwar nicht viel freie Zeit, doch die verbrachte er mit Freude mit seiner kleinen Familie.
Als Tobi im Jahr 1996 gesund zur Welt kam, schien das Familienglück perfekt. Sie mieteten ein Haus in einer schönen Reihenhaussiedlung am südlichen Berliner Stadtrand mit netten Nachbarn, Kindertagesstätte und Grundschule in der Nähe.
Doch der schöne Schein trog. Der Job als Leiter der 5.
Weitere Kostenlose Bücher