Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Betreutes Trinken

Betreutes Trinken

Titel: Betreutes Trinken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katinka Buddenkotte
Vom Netzwerk:
Silberschmuck, den sie sich angelegt hat und der bei jedem ihrer großen Schritte klimpert.
    Sie hat sich den Ausgehpanzer angelegt. Nur für mich. Oder gegen mich.
    Es könnte nur noch besser sein, wenn wir uns auf ihren tänzelnden Rappen werfen würden, um in den dunklen Forst zu galoppieren. Aber den Friesenhengst gibt es nicht mehr. Wir nehmen den Überlandbus.

XXXVII
    N atürlich sitzen wir in der letzten Reihe, wie alle coolen Kids. Und schweigen. Meine Mutter kann das noch ausdauernder als Vladimir.
    Der Busfahrer verzichtet darauf, Sound of Silence zu spielen, sondern schnauft in sein Mikrofon: »Nächster Halt: Am Graben.«
    Oh, vorbei die goldenen Zeiten, in denen der Chor der Schulkinder darauf gejohlt hat: »Nächster Halt: Im Graben.«
    Das durften wir irgendwann nicht mehr, weil der alte Gieskötter in eben jenen Graben gefahren und ertrunken ist. Wer es nach diesem tragischen Vorkommnis trotzdem wagte, »Im Gra-ha-ben« auch nur zu murmeln, durfte nach Hause laufen. Wegen der Pietät.
    Natürlich haben die Erwachsenen immer an dieser Haltestelle die Gelegenheit genutzt, um sich über den jungen Gieskötter auszulassen. Haus und Hof hat er verspielt, und vom anderen Ufer soll der auch sein. Über die Lebenden darf man immer herziehen hier.
    Aber das ist ja normal. Wir sind es nicht.
    Eine normale Mutter würde jetzt auf eines der hässlichen neuen Häuser zeigen und mir berichten: »Da sind jetzt die Soundsos eingezogen. Sie macht wohl irgendwelchen Tinnef mit behinderten Kindern oder Tieren. Aber er grüßt immer freundlich und schippt den Schnee weg im Winter.«
    Das ist auch normal hier, dass man es dabei sagt, mit dem Winter. Im Sommer bringt es ja gar nichts, den Schnee wegzuschaufeln, da ist er ja geschmolzen.
    Eine normale Mutter hätte ihrem Küken einen selbstgebackenen Kuchen mitgebracht zum Bahnhof, und wäre im Tränen ausgebrochen bei meinem Anblick. Eine normale Mutter würde nicht heimlich an ihrer Elektrozigarette ziehen, wenn der Bus die Fahrt verlangsamt, weil ein Trecker sich vor ihn gesetzt hat. Und eine normale Tochter würde jetzt nicht sagen:
    »Mama? Ich muss dir was sagen, dringend …«
    Meine Mama hustet: »Och bitte, nicht du auch noch!«
    Ich war schon immer langsam in Gefühlsdingen, aber dank dieses Fahrradunfalls kann ich endlich so verständnislos gucken, dass sich meine Mutter zu einer Erläuterung gezwungen sieht:
    »Lovis ist auch wieder schwanger. Fünfter Monat schon. Letzte Woche hat sie’s mir erst erzählt.«
    »Ich bin nicht schwanger, Mama.«
    Sie drückt meine Hand: »Bist meine erklärte Lieblingstochter des Tages, Doris.«
    Meine Mutter hat es immer verstanden, Geschwisterrivalitäten anzufeuern. Und wo Lovis nicht anwesend ist, habe ich echte Chancen auf den Wochensieg, wenn ich mich ein bisschen reinlästere: »Echt, fünfter Monat. Habe die Kleine ewig nicht gesprochen. Und, weißt du, wer der Vater ist?«
    »Ach Doris, so lange sie es weiß … Manfred, jetzt überhol den doch, sonst kommen wir nie nach Hause!«
    Genug über die Familie geplaudert. Zeit, sich mit dem Busfahrer anzulegen. Der steigt auch voll drauf ein: »Wenn es dir nicht schnell genug geht, Astrid, dann kannst du auch laufen.«
    »Machen wir. Halt an!«, brüllt meine Mutter.
    Draußen schweigen wir wieder. Meine Mutter schnorrt sich eine echte Zigarette von mir. Falls mein Bruder jetzt noch im Knast gelandet ist, kann ich es sogar zum Lieblingskind des Monats schaffen. Aber das Thema werde ich erst im Haus ansprechen.
    Wir laufen im Stechschritt darauf zu.
    Ein normales Haus würde jetzt kleiner wirken, nach so langer Zeit. Mamas wirkt größer, vor allem von innen. Und noch kälter.
    »Was treibt Mattis?«, frage ich fröstelnd, und greife nach dem Rum, der in den Tee gehört.
    »Na, immerhin säuft der nicht am frühen Morgen.«
    Und schon wird es gewohnt heimelig. Mutter ist die Beste, vergisst keinen bei ihrem Rundumschlag: »Dein Bruder will jetzt eine Surfschule aufmachen. In Griechenland. Warum nicht gleich auf dem Mond?«
    Ich nehme meiner Mutter die Flasche weg. Sie verträgt gar keinen Schnaps. Jedenfalls vertrage ich es nicht, sie welchen trinken zu sehen. Zum Glück weiß sie das: »Ach Doris, jetzt mach’ nicht auf Drogenberaterin. Das ist eine Ausnahme.«
    Sie kann nicht verstehen, weshalb ich lachen muss. Deshalb unterbindet sie es: »Ist immer noch ein Spießrutenlauf im Dorf. Wenn ich nicht muss, fahre ich nicht dahin.«
    Endlich, jetzt werden die alten Evergreens

Weitere Kostenlose Bücher