Betreutes Trinken
gewünscht hast? Antwort: Sie weiß, dass sie nicht glücklich werden wird. Sie will ihren Andi auch nicht. Punkt. Aber sie wird ihn heiraten, damit sie ihren blöden Batzen bekommt, und sie das »Dead Horst« kaufen kann. Riesenidee: Katja Alpert gibt sich selbst vollkommen auf, damit sie jede Nacht hinter der Theke stehen darf? Sie ist doch nicht Marie! Zieht sie das alles durch, nur um mir eins auszuwischen? Um mich vom Alkohol fernzuhalten? Schwer zu glauben, dass die Wahrheit in diesem Fall irgendwo in der Mitte liegt.
Es ist weit nach zehn Uhr, aber ich brauche jetzt einen Kaffee. Und ich kann mir auch einen machen, erstaunlicherweise ist welcher vorhanden. Richtig gutes Zeug, den habe ich nicht gekauft zu diesem horrenden Preis am Kiosk. Das muss Katja gewesen sein neulich. Als sie in meinem Bett übernachtet hat, Gunnar auf der Couch und ich in der Wanne. Die beiden waren schon lange wach, als ich endlich dazukam. Und da haben sie bestimmt nicht nur über Raffi geredet, nein, nach dem Abend, so wie das abgelaufen ist, bin ich sicher, dass Gunnar Katja schon damals von früher erzählt hat, logisch.
Deswegen war Katja in den Tagen danach auch so komisch zu mir. Wollte nicht Tatort bei mir gucken, lieber in Raffis Bude neben Black-out schlafen. Hat sich in die Arbeit gestürzt, und dabei gewartet, dass ich mal Klartext rede wahrscheinlich. Und Gunnar, dem war auch unwohl, weil er da ausgeplaudert hat. Musste plötzlich weg zum Zahnarzt, natürlich, und zwar ganz schnell, mit Katjas Auto. Jetzt will ich gar keinen Kaffee mehr. Ich will mit meiner Mutter sprechen.
Auch, wenn ich sie dafür anrufen muss.
Nach dem achten Klingeln nimmt sie endlich ab.
»Was?«, blafft sie mir entgegen.
»Hallo Mama, ich bin’s, Doris …«
»Du rufst jetzt an, um mir zu sagen, dass du gut angekommen bist? Da hätte es auch morgen früh gereicht, echt. Jetzt male ich.«
Schlechter Zeitpunkt, war schon klar. Aber ich muss nur ganz schnell eine Sache wissen. »Mama, der Sülzwurst, der Zahnarzt, der hat doch immer nur nachmittags Sprechstunde, oder?«
Meine Mutter stöhnt auf: »Doris, lass bitte morgen noch mal deine Kopfverletzung untersuchen, ja? Du redest Quatsch. Der Sülz hat seine Praxis doch längst nicht mehr.«
Ich schlucke. Mir wird schwindelig, und trotzdem beherrsche ich mich, um meine Mutter zu fragen: »Seit wann?«
Mama stöhnt lauter: »Was weiß ich! Seit drei, vier Jahren bestimmt. Gibt’s keine Zahnärzte bei euch in der Stadt?«
Drei, vier Jahre. Nicht: drei, vier Tage. Ich muss das Gespräch dringend beenden, wie mache ich das? Mit positivem Feedback, natürlich: »Schön, dass du wieder malst, Mama.«
»Oh, shit, ich muss rüber, bevor die Farbe antrocknet. Tschüss.«
Sie legt auf.
Ich will mich hinlegen und schlafen. Schön träumen, frisch aufwachen, auf in den neuen Tag. Aber das wird nichts. Diese Nacht ist noch nicht zu Ende, beileibe nicht, Doris Kindermann, du musst da jetzt durch. Du hast angefangen zu denken, jetzt kannst du nicht einfach aufhören oder auf ein anderes Programm schalten.
Ja, ein bisschen weinen darfst du, auch die Detektivarbeit geht nicht ganz ohne Emotionen voran, vor allem bei den Amateuren. Manche Fälle nehmen einen eben besonders mit, aber du bist jetzt so weit gekommen, du kennst die Täter, die Lücken in ihren Aussagen, und wenn du ganz ehrlich bist, weißt du auch schon, dass es sich um ein Verbrechen aus Leidenschaft handelt, nicht wahr?
Und es bringt dich so richtig zum Flennen, weil Leidenschaft etwas Wunderschönes, Fantastisches ist, sofern man selbst eine Hauptrolle dabei spielt ist. Tust du aber gar nicht. Du warst noch nicht mal das Opfer, sondern nur ein Hindernis, ein Störfaktor. Schon erstaunlich, wie man sich ein paar gefühlte Liter Flüssigkeit aus dem Körper heulen kann und danach doch noch zu einem komplexen Gedanken fähig ist. Ein Geistesblitz nahezu. Katja springt nicht über Hindernisse, sie walzt sie um. Und Gunnar? Der weicht ihnen aus.
Du weißt, wo Gunnar ist.
Er ist nicht weit weg, du kannst es bis zu ihm schaffen, noch bevor der neue Tag beginnt. Du kannst sogar etwas wirklich Gutes, Großartiges, Erwachsenes tun, wenn du jetzt zu ihm gehst, Doris, du kannst weiter über deinen Schatten springen, als es den meisten Menschen in ihrem Leben je vergönnt sein wird.
Nein, lass das Küchenmesser hier.
Gut so.
Guck ruhig in den Spiegel, er wird mindestens so beschissen aussehen wie du, wenn er es ernst meint. Und wenn nicht, kann
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