Betreutes Trinken
wenn ich sie mir so anschaue, merke ich, dass sie wirklich nicht mehr kann. Sie sieht gar nicht wütend aus, sondern unfassbar traurig. Noch ein falsches Wort von mir, und sie zerschellt auf dem Boden.
Trotzdem muss ich was sagen: »Finanzierungsplan sagtest du, ja?«, frage ich also, denn wenn ich meine Frau Alpert auch nur ein bisschen kennen sollte, nehme ich stark an, dass sie bei der Erwähnung des Wortes »Plan« wieder Aufwind bekommen sollte: »Ja, genau. Ich heirate Andi. Wir kriegen die Steuerrückerstattung und durch Andis Bank das Vorverkaufsrecht für das ganze Haus. Ist besser als pachten.«
Zwar zieht sie bei diesen Worten den Rotz in der Nase hoch, aber gleichzeitig vollführt sie diese Armbewegung. Alles meins. Mein Andi, meine Kneipe, meine blöden Fliesen, alles meins. Bei dem Talent, sich abzugrenzen, hätte Katja Sozialarbeiterin werden sollen.
Ich muss eine schreckliche Freundin gewesen sein, wenn man sich von mir freikaufen muss. Aber das ist der Plan: »Dann wünsche ich viel Glück, mit allem. Mit Andi. Und dem Batzen.«
Ich komme nicht über diese Fliesen weg, und klopfe noch mit dem Fingerknöchel drauf, in der letzten, vagen Hoffnung, dass sie doch nur aus Pappe sind. Sind sie nicht. Alles fest, alles echt. »Viel Glück mit diesem ganzen Scheiß hier. Ist nicht meins.«
Und jetzt, in dieser Sekunde, fühle ich mich unglaublich erleichtert. Ich will die Kneipe nicht, so sieht’s aus. Keine Ahnung, was ich will, aber das nicht. Und ich will auch nicht, dass Katja weint. Tut sie aber, sie wimmert, sinkt auf ihrem stylischen mattschwarzen Boden zusammen, ihre Frisur ist jetzt völlig hinüber, die Wimperntusche fließt, sie sieht aus wie Alice Cooper an einem ganz schlechten Tag. Das berühmte Häuflein Elend. Das ich gerne, nur allzu gerne trösten würde. Aber das Häufchen hat noch die Kraft, mit den Händen zu wedeln. Ich soll weg, ein für allemal.
Ich werfe einen letzten Blick in die Kneipe.
Linda redet mit der Staatsanwältin, die bestimmt nicht eine Nacht ihres Lebens auf einem Strommast verbracht hat. Olaf ist in ein Gespräch mit ihrem Künstlerfreund vertieft. Bestimmt werden sie dicke Freunde, bei Facebook. Der Künstlerfreund sagt: »Den Namen finde ich ja weiterhin trashig. Also uncool trashig. Ich denke, das wird doch auch leicht verwechselt, mit dem »Red Horse«, oder?«
Ja, das stimmt.
Wir waren ziemlich uncool trashig.
Ich schnappe mir Vladimirs Gitarre und gehe zu Fuß nach Hause.
XXXIX
E ins ist zumindest sicher. Vladimir hat die Gitarre nicht geklaut. Er wird sie Felix abgekauft haben, für einen Spottpreis. Denn natürlich handelt es sich um Felix’ alte Gitarre, die, die er in die Ecke gestellt hat, zugunsten der Neuen, die er sich angeschafft hat. Manche Menschen wissen einfach nicht um den Wert ihrer Besitztümer. Oder sind einfach zu oberflächlich, um sich einmal ganz genau anzuschauen, was da eingraviert ist, winzig klein, auf dem Hals des Instrumentes. Die Gitarre wäre schon ohne diese Gravur äußerst wertvoll, aber durch diesen kleinen Hinweis darauf, wer einst auf ihr gespielt hat, ist sie noch kostbarer.
Sie ist nicht so viel wert wie ein Mietshaus in dieser Stadt. Aber fast halb so viel, auf jeden Fall mehr, als ich jemals besessen habe.
Oben in der Wohnung ist alles verschwunden, was darauf hindeuten könnte, das Gunnar je hier war. Keine Zahnbürste mehr, keine stinkenden Socken. Nicht einmal einen Parkettboden hat er mir verlegt während meiner Abwesenheit.
Warum wundere ich mich nicht darüber, dass er abgehauen ist? Weil ich weiß, dass er genauso enttäuscht wie Katja von mir ist, da ich in den letzten, entscheidenden Tage nicht erreichbar war? Oder weil er auch nicht mehr ertragen kann, dass ich ein dreißigjähriger Teenie bin und er nicht mein Vater? Bei dem Gedanken muss ich fast lachen. Nein, ganz so ähnlich sind die zwei sich dann doch nicht. Was Katja da gerade durchgezogen hat, war unbeschreiblich, ungerecht und irrsinnig. Aber auch mutig, kompromisslos, ein klarer Schnitt. Gunnar ist eher der unentschlossene Typ. Einer, der sich selbst mit »ständig on the road« bezeichnet. Könnte man allerdings auch schlicht als ziellos oder bequem bezeichnen. Ein bisschen feige, geradezu. Ein richtiger Kerl eben.
Wäre er anders, wäre er ja wie Andi, beispielsweise. Und wer will so was?
Und das ist endlich mal eine gute Frage, Doris Kindermann.
Plötzlich bin ich hellwach. Warum hat Katja erst geheult, nachdem du ihr Glück
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