Betreutes Trinken
vorne rum gehen. Du arbeitest ja jetzt hier.«
Ich werde tatsächlich rot. Heute Nacht habe ich den Ritterschlag erhalten, obwohl ich gar nicht offiziell bei den Spielen angemeldet war. Als wir durch die Milchglastür in den Schankraum treten, wird mein gesellschaftlicher Aufstieg durchaus registriert.
»Boah, endlich Marie, wir waren am Verdursten!«, schallt es aus trockenen Kehlen, nur Holger murmelt leise: »Und ich bin mir doch sicher, Bud Spencer hat den Spruch in Das Krokodil und sein Nilpferd gebracht.«
»Du hast echt keine Ahnung von gar nichts«, steigt Albert sofort wieder ein: »da höre ich mir doch lieber Led Zeppelin II an, als dein unqualifiziertes Geschwätz.«
Marie lächelt. Dann holt sie den Whisky aus dem oberen Regal.
Die Kneipentür öffnet sich, und noch bevor Vladimir seinen Stammplatz an der Theke erreicht hat, steht sein Glas vor ihm.
Er hebt anerkennend eine Augenbraue Richtung Marie, und grüßt mich freundlich:
»Ah, Doris, schön, dich zu sehen. Du machst einen … sortierten Eindruck.«
Ich zucke mit den Schultern, freue mich aber insgeheim, dass Vladimir auf seiner angestrengten Suche nach passenden Adjektiven stets das höflichste ausspricht. Nach der Vorstellung, die ich am Samstag anscheinend gegeben habe, wären auch Attribute wie »nüchtern«, wahlweise auch »nicht total verrückter, vollständig bekleideter, lebendiger Eindruck« durchaus angemessen gewesen.
Ich bestelle noch eine Cola, um mich auch in naher Zukunft dieses Lobes würdig erweisen zu können.
Währenddessen wird Vladimir von Albert in Beschlag genommen. Der benötigt einen Ratschlag in einer Angelegenheit, die ihn schon seit Sekunden wieder beschäftigt: »Vladimir, sollte ich einem Freund, na, sagen wir lieber: einem Bekannten für viel Geld eine Schallplatte verkaufen, die ich selbst total beschissen finde?«
Und Vladimir schaut Albert an – als Tierdokumentarfilmfan möchte ich sagen, wie ein Grizzlybär, dem einfältige Biologen eine äußerst durchsichtige Falle gebaut haben. Zwei grünbraune Augen, in denen sich eine Menge Verständnis mit den geistig Armen und ein Hauch Skepsis, gemischt mit einem guten Schuss Amüsement spiegelt. Statt etwas zu sagen, trinkt Vladimir einen Schluck, wobei er kaum merklich mit dem Kopf schüttelt.
Es ist genau dieses detailliert begründete, salomonische Urteil, das Albert zur Vernunft bringt. Er schaut kurz zu Boden, schüttelt einen unsichtbaren Kobold von seinen Schultern und ruft zu Holger herüber: »Hey Alter, weißte was? Ich schenke dir die Platte, okay?«
Holger lächelt irritiert, wähnt diesen Anflug von Großzügigkeit einen geschickten Winkelzug von Albert, sich bei Marie einzuschmeicheln. Aber als Vladimir ihm bestätigend zunickt, freut er sich. »Hey danke, das ist total cool. Willst du noch ’nen Gin Tonic haben dafür?«
Albert lehnt das Angebot nicht ab, Marie hat schon längst die Eiswürfel ins Glas klimpern lassen. Ich nuckle an meiner Cola und bemerke erst jetzt, dass Vladimir einen großen Koffer neben sich abgestellt hat. Er ist gitarrenförmig.
»Was ist da drin?«, frage ich ihn, und er antwortet, ohne mit der Wimper zu zucken: »Eine Awtomat Kalaschnikowa, obrasza 47, aus der alten Heimat. Was dachtest du denn?«
Heute ist der Abend, an dem ich Kira durchaus Konkurrenz machen könnte, was die Leuchtfrequenz meiner Birne angeht.
»Na ja, vielleicht … ein Bass?«, murmle ich kleinlaut, und Vladimir schnauft in sein Getränk: »Was soll ich denn mit einem Bass, Doris?«
Eine ebenso berechtigte wie rhetorische Frage. Nur Idioten spielen Bass. Eine AK 47 hingegen kann man sich als hübsches Dekorationsobjekt an die Wand hängen und hat so bei Dinnerpartys stets ein hübsches Small-Talk-Thema parat. Es sei denn, man hat sich unvorsichtigerweise ein paar Leute vom Verfassungsschutz eingeladen, das würde wieder hitzige Diskussionen nach sich ziehen.
»Sag, Doris, könntest du auf den Koffer aufpassen für eine Weile?«
Natürlich. Endlich ein Auftrag, den ich problemlos erfüllen kann: Einen mysteriösen Koffer anstarren, solange sein Besitzer eine kleine Weile die sanitären Anlagen aufsucht.
»Ich habe dich erwählt, weil du nicht hineinschauen wirst«, erörtert Vladimir, gewohnt um Alltagsdeutsch ringend. Ich puste mir geschmeichelt die Ponyfransen aus der Stirn. Kein Wunder, dass Vladimir mir daraufhin mehrmals auf die Schulter klopft, so, als würde er ein gehorsames Pferd loben.
Er schwingt sich von seinem Hocker und
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