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Betreutes Trinken

Betreutes Trinken

Titel: Betreutes Trinken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katinka Buddenkotte
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kommt das Wirtschaftswunder. Oder Waschbären.
    »Katja, was ist mit deinem Gesicht passiert? Es sieht … anders aus.«
    Das war schon die ganze große Levitenlesung, die ich für sie vorbereitet hatte. Sie hat sich selbst mehr als ausreichend bestraft. Während wir im Erdegeschoss Pompeji ausgegraben haben, war sie selbst mit Abstauben beschäftigt. Unzählige Make-up-Schichten muss sie abgetragen haben, aber sie ermüdete, bevor sie ihr Werk vollenden konnte. Die Wattepads sind ihr ausgegangen, Wimperntusche und Lidschatten konnten nicht mehr entfernt, sondern nur verschmiert werden. Katja Alpert, immer muss sie einen draufsetzen: Andi hat ein Veilchen, sie lässt sich zwei stehen.
    »Tut mir leid, Doki«, krächzt sie und setzt sich auf den Hocker neben mich. Wie schön, dass sich heute alle bei mir entschuldigen, dass sie beschissen aussehen, aber da lobe ich mir doch Andis Konstruktivität.
    »Solange das nicht dein neuer Look ist, Liebes, sei dir alles verziehen«, will ich trösten, aber sie zieht nur einen Flunsch. Das Gesicht passt zur Garderobe. Frau Alpert stellt ihre Idee des Retro-Grunge vor, kombiniert ohne jegliche Lässigkeit eine ausgebeulte Jogginghose und ein verwaschenes Band-T-Shirt, beides aus der Kollektion »Raphael«, exklusiv für Gammeltage.
    »Dein Andi ist bei mir«, versuche ich sie aufzuregen, aber sie zischt mich nicht wie erwartet an: »Ist nicht mehr mein Andi!«, sondern nuschelt nur: »Der will bestimmt nicht nach Hause, was? Kann er aber machen, ich wohne ein paar Tage hier. Der arme Black-Out ist schon ganz verstört, weil sich niemand um ihn kümmert.«
    Warum will ich ihr auf einmal zwei echte Veilchen verpassen? Weil sie denkt, dass eine Schlange depressiv wird, wenn man sie nicht stundenlang anstarrt? Weil sie glaubt, ich bin blöd genug, um das zu denken? Nein, so blöde sind wir beide nicht, es ist diese Kraftlosigkeit, die mich irre macht.
    »Was ist los, Frau Alpert?«, der strenge Ton gelingt mir nicht.
    »Ich habe Linda angerufen und mich entschuldigt«, murmelt sie, immerhin mit dem gewohnten Trotz in der Stimme. Oh, das muss hart gewesen sein, aber noch nicht alles: »… und … und … sie hat die Entschuldigung angenommen, sie wird sogar wieder mit mir zusammen arbeiten. Toddy auch. Also«, schnieft sie, »kannst du Vladimir ausrichten, dass wir den Schichtplan so lassen können. Und ich kann noch mehr Schichten machen, wenn ich soll.«
    »Wann willst du das machen? Du musst morgen arbeiten.«
    Sie findet eine Papierserviette, wischt sich durch das Gesicht, und das aschgraue Endergebnis dieser Aktion teilt mir mit: »Richtig. Danke, dass du mich daran erinnerst. Ich muss morgen ein paar Aushilfsmodels in Hähnchenkostüme stecken, übernächste Woche ist Landwirtschaftsmesse.« Sie lächelt.
    Ich bin halbwegs beruhigt. Da ist sie wieder, meine kleine schwarze Peitsche. Wenn ihr Andi nicht mehr ihr Andi ist, findet sie alternativ ein paar Zwanzigjährige, die sie demütigen kann. Diese Aussicht hat sie bestimmt über den notwendigen Anruf bei Linda hinweggetröstet.
    »Bei der Messe selbst muss ich aber nicht anwesend sein, die Mädels werden mit einem Bus nach Paderborn gekarrt, oder mit einem Schlachttransporter, was weiß ich. Also kann ich nächsten Samstag Theke machen mit Marie.«
    »Das nenne ich Einsatz«, lobe ich sie, »aber warum erzählst du das Vladimir und Gunnar nicht selbst, die werden sich freuen – falls der Herd nicht auf sie draufgefallen ist.«
    Ich lache, Katja nicht. Sie erhebt sich langsam wieder, streckt ihren Arm nach mir aus, ihr Zeigefinger piekst meine Schulter: »Doki, ich weiß nicht, was da gestern in mich gefahren ist. Aber ich gehe jetzt wieder nach oben, okay? Ich muss einfach mal … den Tatort ansehen, ohne dass mir Andi dazwischenquatscht. Das wird ein Fest.«
    Ja, das könnte helfen. Hoffentlich kommt heute kein Polizeiruf 110 , der würde sie nur weiter runterziehen.
    »Willst du den nicht bei uns gucken?«, schlage ich vor, aber Katja schüttelt den Kopf und schleicht sich. Wie ein Kätzchen, ich höre ihre Schritte kaum, als sie sich nach oben zu Black-Out begibt. Sie wird keinen Blödsinn anstellen. Hoffe ich.
    »Scheiße«, röhrt es aus dem Untergrund, dann: »Nicht schlimm, war eh kaputt.«
    Alles geht kaputt. Raffi, der Herd, Katja.
    Ich springe vom Stuhl. Wie konnte ich hier sitzen bleiben, eine schöne Frau, ihr Königreich zerschlagen, dazu eine Schlange, beide depressiv, was habe ich mir dabei gedacht, sie allein

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