Betreutes Trinken
Benno. Gunnar. Klingt durch das Doppel-N in der Mitte alarmierend ähnlich. Vielleicht sollte ich darüber noch mal mit meiner alten Therapeutin sprechen, die hatte ja ein Faible für Namen.
Ruhig, Doris Kindermann, es gibt jetzt zwei Möglichkeiten: Du rufst bei der Arbeit an und sagst, dass du zu spät kommst. Weil dein Fahrrad geklaut wurde. Vor einer Weile. Oder du rennst zur Bahn und schaffst es, fast pünktlich dort zu sein.
Ich renne. Der Bahn hinterher. Als ich bei meiner Arbeitsstelle ankomme, sehe ich aus, als wäre ich von einer Rugby-Mannschaft trainiert worden.
Aber ich komme nicht zu spät zur Teamsitzung. Die findet heute gar nicht statt. Stattdessen haben sich Margret, Jochen und Kira in der Kommbüse zusammengefunden. Sie unterhalten sich angeregt mit einem mir vollkommen fremden Mann. Er trägt eine blaue Latzhose und einen grauen Schnurbart. Ist das der Typ, der die Holunderbrause liefert?
»Ah, hallo Doris, dann sind wir ja komplett«, grüßt mich die Chefin und klopft lockend auf den freien Stuhl neben ihrem. »Den Fernando kennst du ja, nicht?«
Nein, aber das muss Margret nicht direkt bemerken, ich reiche Fernando die schweißnasse Pfote, er grinst trotzdem, zumindest heben sich seine Schnurrbartenden: »Genau, ich bin der Ferdi, wir hatten telefoniert letzte Woche. Du hast uns ja quasi zusammengebracht, du leitest das Projekt, oder?«
Quasi, denke ich, aber Margret nickt bestätigend, Jochen krault seinen Bart, und Kira – schmilzt.
Das ist also ihr Typ. Kleiner Vaterkomplex, was, Fräulein Praktikantin? Fernando ist Peter Lustig ohne Brille, und lustiger. Ich hab’s – er ist Gut drauf!
»Ach, richtig, du bist der Theatermensch. Gegen Drogen. Super«, löse ich das Quiz, aber keiner wirft Geld in mein Sparschwein. Meine Kollegen blicken mich verstört an, zum Glück ist Ferdi genauso eine überschäumende Frohnatur wie ich. Er beantwortet meinen ausgestreckten Daumen, mit dem ich das Wort »Super!« zusätzlich unterstrichen habe, mit demselben Gruß, nur beidhändig. Ich verstehe nun, wieso Kira ihn anschmachtet. Er ist doppelt so cool drauf wie ich.
»Also«, beginnt Jochen souverän, denn er sitzt am Kopfende des Tisches, »magst du uns dann vielleicht erst mal erzählen, seit wann du Theater machst, Fernando? Und was du sonst noch so treibst natürlich, und vielleicht auch, wie du dir die Zusammenarbeit mit uns so vorstellst, kreativ, meine ich, zum Organisatorischen kommen wir dann im Anschluss, das Finanzielle regeln wir dann schon mit der Stadt.«
Ferdi Fernando schenkt uns eine Kostprobe seiner Schauspielkunst. Er gibt das überwältigte Kind, dem der Schlüssel zum Süßwarenladen überreicht wurde, mit den Worten. »Hier hast du, mein Kleiner! Friss dich schön voll, damit du nicht nur dick und rund, sondern auch recht schnell hyperaktiv wirst.«
Und er überzeugt uns vollkommen in dieser Rolle: »Na, also, das ist ja mal eine Ansage, ja prima, prima. Also, ich mache jetzt seit zwanzig Jahren Kinder- und Jugendtheater, wir touren durch das gesamte Bundesland und bringen alle paar Jahre eine neue Produktion heraus. Wir scheuen uns da nicht vor heißen Eisen, auch wenn wir da anecken an gewissen höheren Stellen. Nächstes Jahr steht Mobbing auf dem Programm, aber unser Anti-Drogen-Stück ist ein Klassiker, den wir immer wieder neu aufbereiten, da gucken wir immer nach den aktuellen Entwicklungen auf dem Markt, damit wir die Kids da abholen, wo sie wirklich stehen, ja. Bewährtes und Neues kombinieren, nur so geht man aufeinander zu, sage ich immer …«
Ferdi Fernando hat uns entflammt. Alle. Margrets Augen wurden schon ganz glasig, als er die heißen Eisen ansprach. Das alte Feuer in meiner Chefin wurde richtig entfacht, als der große Fernando dann auch noch Kids abholen wollte. Jochen, der seine Kids zwar lieber selber macht, bevor er sie abholt, verneigt sich auf seine Art vor dem Laberfürsten, er schrubbt so tüchtig an seinem Bart herum, dass bald Rauch aufsteigen wird. Habemus Papam!
Mich persönlich fasziniert der Gedanke, wie man aktuelle Drogen künstlerisch auf die Bühne bringt. Wird eine Ballerina im rosa Tutu erscheinen, sich endlos im Kreis drehen und behaupten: »Ich bin Crystal Meth, wer mich einmal kostete, wird nie wieder eine andere wollen!«? Und dann wird mir ganz warm und wohlig, weil ich zum ersten Mal seit Jahren froh darüber war, mich für die Sozialarbeit entschieden zu haben. Oder zumindest gegen Theaterwissenschaften. Aber ich bewahre
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