Betreutes Trinken
besucht, und da haben wir uns gegenseitig geholfen, ja. Also, um es mal überspitzt zu sagen, ich habe diese Solidarität gelernt, sogar von der Seite der Opposition, wenn ich mich mal an die Angestellten dort erinnere, ja, haha!«
Gelächter, Applaus, Wiederwahl.
Wir haben echte Probleme.
Das sieht auch Margret: »Doris, hast du heute Morgen schon Alkohol konsumiert?«
Ich will mich rechtfertigen, aber Fernando vereitelt diese mittelgute Idee mit einem glucksenden Lachen: »Entschuldigung, Margret, aber kann es sein, dass das, was du riechst, nur der Gestank der allgemeinen Verzweiflung ist?«
Kira weicht erschrocken vor Fernando zurück, ihr Verkünder nur ein Ketzer, Jochen klopft seinen Körper instinktiv nach Zigaretten ab, ich darf nicht lachen.
Margret läuft zur alten, zur legendären Form auf. Sie lehnt sich im Stuhl zurück, fixiert Fernando und redet endlich Tacheles: »Fernando, ich finde es immer gut, wenn jemand von außen mal einen Blick auf den Laden wirft. Denn wir alle sind zugegebenermaßen betriebsblind geworden …«, bei diesen Worten schaut sie Kira, Jochen und mich gleichermaßen strafend an, »aber nur hier reinkommen und demontieren bringt ja gar nichts. Da möchte ich doch ehrlich gern wissen, was du uns hier von eurer Seite aus anbieten könntest. Wenn du eine Theatervorführung zum Thema ›Drogen‹ ineffektiv für unser Kleintel findest, kann ich dir nur zustimmen.«
Fernando lehnt sich ebenfalls in seinem Stuhl zurück, die Arme vor der Brust verschränkt, aber sehr wachen Blickes. Ihm gefällt sehr, was er da aus Margret herausgekitzelt hat, und mir erst.
Meine Chefin hat für den zweiten Teil ihrer historischen Ansprache Luft geholt: »Also, eure Theatergruppe lebt ja auch nicht von Luft und Liebe. Wenn ihr nicht auf öffentliche Gelder angewiesen wäret, so wie wir, wärest du ja gar nicht hier aufgelaufen, oder?«
»Margret, also das ist ja sehr zynisch. Wenn es hier um Geld gehen würde, dann …«
Jochen bemerkt von alleine, dass er den Satz nicht ansatzweise zu seinen Gunsten zu Ende bringen kann.
Fernando schaut sanft lächelnd von einem zum anderen, ein verrückter Professor, dem ein umstrittener Menschenversuch endlich gelungen ist: »Du hast vollkommen recht, Margret. Wir würden gerne mit euch zusammenarbeiten und sehr gerne dafür städtische Gelder verwenden, aber vom moralischen Standpunkt aus muss ich sagen: Ich stelle hier nicht meine Leute auf die Bühne, die euren Kiddies ohne Not und auf Bestellung wahllos über Drogen, Mobbing, gesunde Ernährung oder Umweltschutz etwas vorspielen. Das machen wir nicht.«
Margret implodiert gerade, aber sie kann sich zu einem tückischen Grinsen zwingen: »Och, wie schön, dass es den freien Künstlern doch so gut geht, dass sie sich einen moralischen Standpunkt leisten können.«
»Also bitte, die Diskussion hier ist ja nicht mehr sachlich und außerdem völlig am Kern der Sache vorbei«, echauffiert sich Jochen erneut, und zum ersten Mal seit Jahren kann ich ihm da voll und ganz zustimmen. Aber ich komme gar nicht dazu. Kira hebt schüchtern einen Finger, so, als würde sie sich in der Schule melden oder die Windrichtung prüfen, und macht einen Vorschlag: »Wie wäre es denn, wenn wir die Kids selbst auf die Bühne stellen? Ich meine, die können dann endlich mal selbst sagen, was sie so bewegt. Und, na ja – uns auch.«
Mir bleibt nichts anderes zu tun, als still und ehrfürchtig dazusitzen und nach Eckkneipe zu riechen. Fernando klatscht in die Hände, dreimal, langsam. Er nickt Kira anerkennend zu, hebt seinen Hintern, um einen Diener in ihre Richtung anzudeuten: »Danke, Kira! Wow, das ist doch endlich mal eine gute Idee. Von wegen alle betriebsblind. Wenn ihr das wollt, mit unserer Hilfe, dann sind wir dabei. Eigene, ehrliche Texte von den Jugendlichen, und wir machen ein Bühnentraining mit ihnen. Das wäre doch toll, oder? Oder?«
Das finde ich auch, denn damit bin ich aus der Drogensache raus, und wir lernen endlich mal die Menschen kennen, die wir täglich bedienen. Ganz ohne Statistikbögen. Kira rutscht auf ihrem Stuhl hin und her, sie wartet auf Margrets Antwort, und die ist positiv: »Ja, finde ich gut. Wirklich. Dann machen wir das jetzt klar, meinetwegen. Doris, es ist dein Projekt, also lassen wir euch jetzt in Ruhe daran arbeiten, dich und Fernando. Kira, du kannst mir oben helfen, die Statistik auszuwerten, Jochen, du …«
Jochen telefoniert: »Ja, ja, sicher, ich komme sofort. Ins
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