Betreutes Wohnen: Ein WG-Roman (German Edition)
auch Modell.«
»Was?« Sarah ist das neu. Ich muss vergessen haben, es zu erwähnen. Aber immerhin dementiert sie den »Freund« nicht.
»Weil ich Schulden habe«, sage ich.
Sarah will sofort die Bilder sehen, aber Gisela winkt ab.
»Bei mir weigert er sich. Er sagt, das stehe nicht in seinem Arbeitsvertrag.«
Ich erkläre Sarah, dass ich für einen Maler namens Musa Modell stehen muss, weil ich versehentlich sein Atelier ein bisschen angezündet habe.
Die Geschichte macht Eindruck, wenn auch nicht den gewünschten.
»Ich wollte schon immer Männchen malen«, prustet Sarah. »Wann bist du das nächste Mal dran?«
»Das wirst du nie erfahren.«
»Montagabend«, kräht Milva.
»Danke, Herzchen.«
Die Damen grinsen sich eins.
Milvas Vater, der Alwin, kommt aus seinem Atelier herausgestürmt und schlägt mir immer wieder mit voller Kraft auf den Rücken, weil er sich ebenfalls freut, mich zu sehen. Der Alwin war in einem früheren Leben Architekt, hat er mir mal erzählt, und ist ziemlich reich geworden, weil er die Landschaft mit Shopping-Malls und Möbelhäusern zugepflastert hat. Jetzt betreibt er zum Spaß ein bisschen ökologischen Landbau, hält Vorträge über nachhaltige Architektur aus Lehm und nennt sich auf seiner Visitenkarte »Visionär« und »Landschaftskünstler«, außerdem ist er zusammen mit seiner Frau Gründer, Gottpräsident und oberster Strippenzieher des Elternvereins und damit mein Arbeitgeber.
Schließlich wackelt auch noch die hagere Gestalt Elfberts auf einem alten Damenfahrrad durch die Toreinfahrt. Er hat zur Feier des Tages seine Lederhose frisch eingefettet und den Rest in Haare und Bart geschmiert, sieht aus wie ein echter Schweinepriester, und als das quietschende Tier seiner ansichtig wird, stellt es prompt jeden Widerstand ein.
Die Zeremonie verläuft denn auch ohne Zwischenfälle. Kein Wunder, alle Beteiligten sind Profis, und Milva hat heute Morgen nochmal mit ihren Meerschweinchen geübt.
Anschließend werden wir zu einem kleinen Umtrunk eingeladen, und was immer gegen diese Familie vorzubringen wäre, muss angesichts der fantastischen Obstbrände verblassen, die besonders Elfbert der unwirtlichen Natur des Westerwaldes zu entreißen im Stande ist. Auch diesmal wartet er mit tollen neuen Schnapsideen auf. Ich allerdings nippe nur kurz an der neuen Waldbeerenkreation, schließlich muss ich die Bande noch nach Hause fahren.
Drei Stunden später sehe ich mich zwar außerstande, Wortungetüme wie »Waldbeerenkreation« fehlerfrei zu artikulieren, bin aber ansonsten allerbester Dinge. Gefahren wird allerdings heute nicht mehr. Wohin auch, hier ist es ja schön.
Ich lümmele mich mit einer bereits schwer silberblickenden Sarah auf dem Sofa und der kulturelle Teil des Abends neigt sich dem Ende entgegen. Wir befinden uns mitten in einem Gemälde, das Brueghel in seiner betrunkenen Phase gemalt und anschließend verbrannt haben muss, weil es ihm sowieso keiner geglaubt hätte.
Ungläubigen Staunens sind wir Zeugen diverser Schamanentänze unter Beteiligung der Katholischen Landfrauen geworden, die dicke Bäckersfrau aus dem Ort hat nicht nur Puddingschnecken, sondern auch selbstgeklöppelte Gedichte mitgebracht und sich dabei von einer Prinz-Heinrich-Mütze mit Akkordeon begleiten lassen. Unter der Mütze steckte ein verhutzelt Männlein, wenn ich mich recht erinnere, aber es kann auch ein Troll gewesen sein.
Horsti steht noch immer auf der Bühne und singt.
Ein vierschrötiger Bauer sitzt vor ihm und weint. Ein anderer schläft.
Horstis Stimme klingt ziemlich rau, weil er einen Gutteil des Spätprogramms alleine bestritten hat. Mittlerweile ist sein Textvorrat aufgebraucht und er kombiniert die größten Hits von Rex Gildo mit Dingen, die ihm aus dem Stegreif einfallen.
Horsti ist ganz klar der bessere Texter.
»Frei wie ein Ferkel im Wind«, wiederhole ich eines der sprachlich eindrucksvollsten Bilder des Käpt’n Horsti, und Sarah applaudiert trunken.
»Frei wie ein Ferkel im Wind«, wiederholt sie und wir stoßen an. Horsti verbeugt sich und geht von der Bühne ab. Der weinende Bauer klopft ihm auf die Schulter und weckt seinen Kollegen.
Sie haken einander unter und hangeln sich, das Mobiliar als Kletterhaken benutzend, unter Mühen Richtung Tür. Der ehemals weinende, nun selig bis entrückt lächelnde Bauer dreht sich zargenfüllend um und spricht tatsächlich: »Gottes Segen auf diesem Haus und seinen Bewohnern.«
Sein Kollege nickt und dann entschwinden
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