Betrogen
Melina, nicht ihre Schwester, die sich im Bett warm und befriedigt an ihn gekuschelt und mit süÃer schlaftrunkener Stimme geflüstert hatte: »Chief?«
»Hmm?«
»Das hätte ich nicht um alles in der Welt versäumen wollen.«
Er hatte sie noch dichter an sich gezogen und auf die Schulter geküsst, ohne die geringste Ahnung, dass es die letzten Worte waren, die er je von ihr hören sollte. AnschlieÃend waren sie eingeschlafen. Am Morgen war er zwar alleine aufgewacht, aber mit dem Entschluss, diese Stimme wieder zu hören und dieses Gesicht erneut auf seinem Kopfkissen zu sehen. Noch viele Male. So oft wie möglich.
Jetzt schaute er es wieder an, aber dies war nicht Gillians Gesicht, sondern Melinas. Allmählich wurde es für ihn immer schwieriger, die beiden auseinander zu halten.
»Da ist sie«, sagte Melina.
Durch die Drehtür des Gebäudes strömte eine Gruppe Menschen
in unterschiedlicher Klinikkleidung. »Die grauhaarige Dame, oder? Ich habe gesehen, wie sie sich nach dem Gottesdienst mit Ihnen unterhalten hat. Jetzt fällt es mir wieder ein.«
Unter ihren Blicken entfernte sich Linda Croft aus dem Pulk und ging auf jene Ecke des Quadrats zu, die als mehrstöckiges Parkhaus diente. Wie der Blitz schoss Melina von der Bank hoch. »Gehen wir.«
Parkhäuser waren ihr per se unheimlich, und Hollywood hatte ihren üblen Ruf noch verstärkt, indem es sie zum Schauplatz für jedes nur erdenkliche Verbrechen gemacht hatte. Bis auf Linda Croft war das orangefarbene Stockwerk leer. Sie sperrte gerade ihre Wagentür auf, als er mit Melina bedrohlich näher kam. Chief wunderte es nicht, dass die Frau zusammenzuckte.
»Ms. Croft, ich bin Melina Lloyd. Erinnern Sie sich noch?«
Sie presste eine plumpe Hand an den Busen, als wolle sie ihr klopfendes Herz beruhigen. »Natürlich, Ms. Lloyd.«
Melina nahm ihre Sonnenbrille ab. »Entschuldigung, dass wir Sie erschreckt haben.«
»Ich bin ja nur froh, dass Sieâs sind und kein Messerstecher.« Ihre Blicke wanderten zu ihm.
»Das ist Christopher Hart«, sagte Melina. »Colonel Hart, Linda Croft.«
»Ich habe Sie bei der Messe gesehen und aus den Nachrichten wiedererkannt«, meinte sie. »Freut mich, Sie kennen zu lernen, Colonel Hart.«
»Ganz meinerseits.«
»Was ist denn mit Ihrem Gesicht passiert? Bitte, entschuldigen Sie meine Frage.«
»Ich wurde gestern Abend überfallen.«
»Wie schrecklich! Hat man Ihnen etwas gestohlen?«
»Einen Teil meines Stolzes.« Sie erwiderte sein Lächeln. »Halten wir Sie von etwas ab?«
»Ich fahre zum Mittagessen heim. So kann ich meine Lieblingssendung sehen und auch noch meine Katzen füttern.«
»Wir möchten Sie nicht lange aufhalten«, versicherte ihr Melina. »Ich müsste Sie nur etwas fragen, bezüglich einer Bemerkung, die Sie mir gegenüber gemacht haben.« Fragend neigte Linda Croft den Kopf. Melina kam zum Punkt. »Sie haben gesagt, wie traurig es sei, dass zwei Patientinnen der Klinik Opfer eines Verbrechens geworden sind. Gillian wurde ermordet, und das Kind eines Paares gekidnappt.«
»Von den Andersons.«
»Colonel Hart und ich finden diese Ãbereinstimmung sehr interessant.«
Linda Crofts Blicke wechselten hektisch zwischen ihnen hin und her. »Was meinen Sie mit interessant?«
Allmählich wurde sie misstrauisch. Wenn Melina ihren Befürchtungen nicht Rechnung trug, würden sie schnell in einer Sackgasse landen. Sie änderte sofort ihre Taktik.
»Die Andersons müssen am Boden zerstört gewesen sein. Ich möchte Kontakt mit ihnen aufnehmen und ihnen mein Beileid zu dem tragischen Erlebnis aussprechen. Erst jetzt kann ich wirklich nachfühlen, wie untröstlich sie nach der Entführung ihres Babys gewesen sein müssen. Ich kann ihren Verlust verstehen.«
»Oh, na ja â«
»Deshalb habe ich mich gefragt, ob Sie mir nicht sagen können, wo ich sie erreichen kann.«
»Meinen Sie ihre Adresse?«
»Oder die Telefonnummer. Ich würde selbst nachschlagen, kann mich aber an Mr. Andersons Vornamen nicht mehr erinnern.«
Chief legte Melina den Arm um die Schulter und zog sie an sich. »Melina, meiner Ansicht nach haben wir Ms. Croft unabsichtlich in eine Zwickmühle gebracht.«
Sie griff sein Stichwort auf und meinte: »Oh, lieber Gott, so hatte ichâs ja gar nicht
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