Betrogen
fragte Chief.
»Psst.« Mit einer Handbewegung forderte sie Ruhe.
Sie hörten sich die Sendung bis zum Ende an, zu dem Bruder Gabriel ein blumiges Segensgebet offerierte. Ãber einer Fotografie des Tempels vor einem strahlenden Sonnenuntergang wurden Postanschrift und E-Mail-Adresse eingeblendet.
Die Zuschauer wurden nachdrücklich zum Anfordern von Literatur animiert.
»In der sicher die Antwort auf alle Lebensprobleme steht.«
»Tja, wo er die nur alle her hat?«, fügte Chief hinzu, während er den Ton abdrehte.
»Er appelliert an alle Dale Gordons dieser Welt.«
»Und noch an viele andere, Melina. Sogar im Raumfahrtzentrum gibt es welche, die behaupten, er habe ihr Leben von Grund auf verändert.«
»Sie machen Witze!«
»Eine meiner Kolleginnen hat ihre Tochter an seiner Schule eingeschrieben.«
»Wie können intelligente Menschen auf die Idee hereinfallen, dass ein Mann alle Antworten kennt?«
»Ganz einfach«, meinte er achselzuckend. »Er erzählt ihnen, was sie hören wollen. Er spricht ihre schlimmsten Ãngste an â Zurückweisung und Nicht-Akzeptiert-Werden. Er allein kann ihren Wert erkennen. Er schätzt sie, auch wenn es sonst niemand tut. Wer sich ihm anschlieÃt, wird Teil einer Elite.«
»Unglaublich. Entsetzlich.«
»Unglaublich nicht ganz, aber definitiv entsetzlich. Eine Menge Leute dachte, Hitler hätte die richtige Idee gehabt. Er ist das Musterbeispiel, welche Macht ein Einzelner über die Gehirne vieler haben kann. Aber denken Sie doch nur an all die weniger bedeutenden Sektenführer, die seither berühmt geworden sind.«
Sie rieb sich die Arme, und das nicht, weil Chief den Thermostat der Klimaanlage so weit wie möglich heruntergedreht hatte. »Dieser Kerl betrachtet sich nicht als Prophet oder Priester. Er selbst ist die Gottheit seines Dogmas. Er kennt das Geheimnis des Lebens, und wer ihm nachfolgt, der läuft auf der Innenbahn.« Bei diesem Vergleich stieà sie ein verächtliches Lachen aus. »Gott hat er irgendwo auf der Strecke zurückgelassen.«
»Melina, sind Sie ein gläubiger Mensch?«
Der ruhige Klang seiner Stimme verblüffte sie. »Ja. Sie nicht?«, antwortete sie ernst.
»Ich glaube an die Wissenschaft.«
Nach kurzem Nachdenken wollte sie wissen, ob er schon immer Astronaut habe werden wollen, selbst als junger Mann.
»Der Weltraum hat mich immer fasziniert. Ich wollte alles über Planeten, den Mond und die Sternbilder lernen. Als ich alt genug war, habe ich mich nachts heimlich aus dem Haus geschlichen und bin mit dem Fahrrad an den Stadtrand gefahren, wo der Himmel dunkel war. Dort habe ich stundenlang in die Sterne geschaut und gehofft, einen Meteoriten, Wetterballon oder Satelliten zu entdecken. Die ersten Astronauten waren meine Helden. Tja, demnach könnte man vermutlich sagen, dass ich im Hinterkopf schon immer einer werden wollte. Trotzdem erschien mir das Ganze hoffnungslos.«
»Warum?«
»Bis zum Abschluss der High School habe ich in einem Reservat gelebt.«
»Und?«
»Und damit sind die Möglichkeiten begrenzt.«
»Und warum unternehmen Sie dann nichts dagegen?«
Er musterte sie scharf. »Was zum Beispiel?«
»SchlieÃen Sie sich dieser Interessengruppe an.« Er runzelte die Stirn. »Nun, was hält Sie davon ab? Dieser Longbush?«
»Longtree.«
»Zweifeln Sie an seiner Integrität?«
»Teilweise.« Er rotierte die Schultern, als wolle er ihre Frage abschütteln. »Ich weià es nicht.«
»In diesem Fall sollten Sieâs vielleicht herausfinden.«
»Es geht nicht nur um ihn.«
»Worum dann? Weil nicht genug Geld da ist?«
»Nein. Es hieÃ, ich könnte weiter andere Dinge tun, so lange meine restlichen Interessen nicht ihren politischen Tendenzen widersprächen.«
»Für mich klingt das wie ein Geschäft, von dem beide Seiten profitieren.«
»Warum unterhalten wir uns gerade darüber?«, fragte er missmutig. »Ich habe mich entschieden und sie abgewiesen.«
»Trotzdem sind Sie mit Ihrer Entscheidung nicht zufrieden.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Weil Sie mir fast den Kopf abbeiÃen. Warum so gereizt, Chief? Wenn Sie sich entschieden haben und damit im Reinen sind, warum knurren Sie mich dann an, nur weil wir darüber reden?« Ihr unverwandter Blick war eine einzige Herausforderung. Er
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