Betrogen
Urheber dieses
genetischen Retortenplans war, glichen die Folgen einem Horrorszenario, das in eine weltweite Katastrophe münden konnte. In diesem Fall gab es keinen Zweifel: Keine Verstärkung zu holen, war Wahnsinn.
Andererseits hatte er noch nicht alle Fakten beisammen. Derzeit handelte es sich noch immer um einen persönlichen Kampf. Und er war kein Weichei, das andere für sich kämpfen lieÃ. Vielleicht war dieser unangebrachte Stolz, den man auch als glatte Sturheit bezeichnen konnte, ein Erbe seiner Vorfahren, das sich erst jetzt wirklich zeigte. Vielleicht hatte er mehr Indianer in sich, als er bisher akzeptieren wollte.
Seiâs drum, er beschloss, sich auf seinen Instinkt zu verlassen.
»Ich denke, wir sollten alles riskieren, Melina, aber das ist Ihre Entscheidung«, sagte er so leise, dass man es durch den Lärm ringsherum kaum hören konnte. »Gillian war Ihre Schwester.«
»Sie war meine Zwillingsschwester . Das hier ist etwas ganz Persönliches.«
»Für mich auch.«
»Dann haben Sie ja Ihre Antwort.«
»Okay.«
Die Entscheidung war gefallen. Damit steckten sie mitten in einer äuÃerst kritischen Situation. In der Hoffnung, sie ungesehen aus dem Gebäude schaffen zu können, hatte er ein Chaos angestiftet. Leider hatte seine Strategie ein paar schwere Haken. Erstens waren sie nun nicht mehr motorisiert, denn inzwischen blockierten Rettungsfahrzeuge die Parkgarage. Somit gab es keine Möglichkeit, die Schrottkarre herauszuholen. AuÃerdem würde man in Bälde entdecken, dass der Feueralarm nur eine Tarnung für den Mord an Jem Hennings gewesen war.
Melina, der Ãhnliches durch den Kopf ging, sagte: »Wir müssen hier raus.«
»Ganz schnell. Sobald sie Hennings Leiche finden, wird
jeder Polizist hinter uns her sein und uns verhören wollen. Harry wird uns sicher nicht vergessen, besonders Sie nicht.« Rasch warf er einen Blick auf ihre flachen Schuhe. »Können Sie rennen, wennâs sein muss?«
»Kann ich. Mache ich drei Mal pro Woche.«
»Wo ist die nächste Einkaufszone? Mit viel Verkehr und Leuten.«
»Oak Lawn. Dort drüben«, sagte sie mit einer verstohlenen Kopfbewegung.
»Ich bleibe dicht hinter Ihnen. Gehen Sie mit langsamen Schritten weg. Versuchen Sie, keine Aufmerksamkeit zu erregen.«
Er legte ihr locker die Hände um die Taille. So schoben sie sich durch die Menschen. Mittlerweile äuÃerten sich einige schon skeptisch über das Feuer und schimpften auf die unzuverlässige Technik, die offenbar häufiger zu Fehlalarm führte.
Fast hatten sie den Rand der Menge erreicht, als Chief prüfend den Kopf drehte, um zu sehen, ob ihnen jemand folgte. Sein Blick fiel auf den Schwarzen, der sich als Tobias ausgegeben hatte. Er stand knapp zwanzig Meter entfernt und musterte mit gerecktem Hals nach allen Seiten die vielen Männer, Frauen und Kinder, die das Hochhaus geräumt hatten.
Plötzlich drehte er sich ohne Vorwarnung um. Diesmal konnte Chief nicht rechtzeitig wegschauen. Ihre Blicke trafen sich.
»Lauf!«, befahl er Melina und versetzte ihr einen leichten StoÃ, als sich hinter ihm plötzlich Geschrei erhob.
Ohne zu zögern, oder Fragen zu stellen, spurtete sie los, quer über den Parkplatz. Als sie zu einer Reihe Sträucher kamen, setzte sie wie ein olympischer Hürdenläufer ohne Pause darüber und rannte im vollen Tempo weiter. Die StraÃe war frei. Sie fegten hinüber. Als er hinter ihnen Reifen quietschen hörte, drehte er kurz den Kopf und sah, dass ihre Verfolger nur knapp einem Minivan ausgewichen waren.
Dieser Beinahe-Unfall lenkte sie gerade so lange ab, dass Melina durch eine hohe dichte Hecke am Rande eines freien Parkplatzes brechen konnte. Jetzt waren sie auÃerhalb der StraÃenlampen. Es war dunkel, und der Boden uneben. Beinahe wäre Chief gegen ein Metallschild für Immobilien geprallt, das auf dem Boden stand. Gott sei Dank streifte er es nur mit der Kniescheibe.
»Hier durch«, keuchte Melina, als sie die andere Parkplatzseite erreicht hatten, und führte ihn über den Autoschalter eines Bankgebäudes auf einen weiteren dunklen Parkplatz, in dessen Mitte ein leeres Gebäude stand. Kaum waren sie herum, packte er ihre Hand und hielt sie an. Sie pressten sich gegen die alte verschimmelte Holzverkleidung, die nach Tierurin stank.
»Alles in Ordnung?«, schnaufte er und rang nach
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