Betrogen
Nach dem Transport in die Pathologie wird man eine komplette Autopsie â«
»Kommissar«, unterbrach sie ihn, »wurde sie vergewaltigt?«
»Das kann ich Ihnen ehrlicherweise nicht sagen. Rein äuÃerlich sieht es nicht nach einem Sexualverbrechen aus. Haben Sie, bitte, trotzdem Verständnis dafür, dass wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt diesbezüglich noch nichts Sicheres wissen.«
»Danke für Ihre Offenheit.«
Lawson verlagerte sein Gewicht auf der Polsterbank und zog Notizblock und Stift aus der Brusttasche. »Möchten Sie ein paar Fragen beantworten?«
»Selbstverständlich. Ich möchte helfen, so gut es geht, aber muss das unbedingt jetzt sein?«
»Je früher wir ein Motiv ermitteln können, um so eher wissen wir, wo wir mit der Suche nach einem Verdächtigen anfangen müssen.«
»Woher sollte ich wissen, welches Motiv der Mörder hatte?«
»Unser erstes Augenmerk gilt dem Alltagsleben Ihrer Schwester, ihren Freunden, Bekannten, Arbeitsgewohnheiten etc. Von hier aus werden wir uns weiter vorarbeiten.«
Sie nickte verständnisvoll, tupfte die Augen ab, putzte sich die Nase und bedeutete ihm mit einer kleinen Geste, weiterzumachen.
»Hatte sie, Ihres Wissens nach, irgendwelche Feinde?«
»Nein.«
»Einen eifersüchtigen Ex-Ehemann?«
»Sie war nie verheiratet.«
»Einen eifersüchtigen Ex-Geliebten oder Freund?«
»Nein.«
»Einen ehemaligen Angestellten, einen rachsüchtigen Kollegen?«
»Sie kam mit allen aus.«
»So weit Sie wissen.«
»Mr. Lawson, falls sie einen Feind gehabt hätte, hätte ich es gewusst.«
»Sie hat Ihnen alles erzählt?«
»Ja.«
»Sogar Einzelheiten aus ihrem persönlichen Leben?«
»Ich kann nicht sicher sein, ob sie mir alles erzählt hat, aber ein tiefes dunkles Geheimnis hätte sie vor mir genauso wenig verbergen können wie ich umgekehrt vor ihr. Auch wenn nur ein Wort fiel, konnten wir daraus gegenseitig unsere Stimmung ablesen, sogar am Telefon. Wenn sie sich über etwas oder jemanden Sorgen gemacht hätte, hätte ich das gespürt. Wir hatten diese Art â Telepathie. Ich konnte buchstäblich ihre Gedanken lesen. Das gibt es bei Zwillingen häufig.«
»Davon habe ich schon gehört. Hat sie je einen aufdringlichen Verehrer erwähnt?«
Sie seufzte. Hörte er denn nicht zu? »Nein.«
»Irgendjemanden, der sie verunsicherte? Ihr unaufgefordert den Hof machte?«
»Nein.«
»Und Ihnen fällt wirklich niemand ein, der vielleicht nicht gut auf sie zu sprechen war?«
»Niemand.«
Er tippte mit dem Stift gegen den Block und kaute innen auf seiner Wange herum.
»Was ist?«, wollte sie wissen.
Er verlagerte sein Gewicht. »Nun, wir glauben nicht an einen zufälligen Ãberfall. Das war kein normaler Einbruch
oder Raub. Anscheinend ist nichts in Unordnung oder fehlt. Trotzdem könnten Sie uns später helfen, das zu bestätigen, indem Sie aufmerksam alle Räume überprüfen. Obendrein haben wir auf dem Nachttisch einen Rubinanhänger gefunden, der ganz offen da liegt. So etwas würde ein Einbrecher nie übersehen.«
»Das war ein Geschenk von Jem. Er hat es erst gestern Abend vorbeigebracht.«
»Jem?«
Der Kommissar richtete fast die Ohren auf und wechselte mit den anderen Beamten, die in der Nähe standen und zuhörten, bedeutungsvolle Blicke.
»Jem Hennings.« Bestürzt schüttelte sie den Kopf. »Dumm von mir, dass ich ihn nicht schon früher erwähnt habe. Ich hatte ihn komplett vergessen. Ich hatte nicht gedacht â«
»Wer ist das?«
»Der Mann, mit dem sie sich traf.«
»Ihr Freund?«
»Ja.«
»Haben Sie eine Nummer, unter der man ihn erreichen kann?«
Sie warf der Polizistengruppe einen alarmierten Blick zu. »Ja, aber â aber Jem kann unmöglich etwas damit zu tun haben.«
»Trotzdem sollte man ihn verständigen. Richtig? Und wenn er gestern Abend hier war, müssen wir hundertprozentig mit ihm reden.«
Sie gab ihnen den Namen des Börsenmaklers, bei dem Jem Hennings angestellt war. »Er ist immer früh da, bevor die New Yorker Börse öffnet.«
»Dann sollte er inzwischen eingetroffen sein.« Lawson beauftragte Caltrane mit dem Anruf. »Sehen Sie zu, dass er herkommt. Sagen Sie nicht, was passiert ist.«
Ihre Blicken
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