Betrogen
bringen, auch wenn man welche finden sollte.
Auch die Inschrift an den Wänden erwähnte er nicht. Das war ein Einfall in letzter Minute gewesen, einer, den er sich ganz allein ausgedacht hatte. Mutter hatte immer hässliche Wörter benutzt. Sie waren ein äuÃerst effektives Mittel, damit sich ein Mensch minderwertig und wertlos fühlte und eine harte Bestrafung als angemessen akzeptierte.
Seiner Meinung nach verdiente Gillian Lloyd, dass man sie verletzte und ihr hässliche Wörter an den Kopf warf. SchlieÃlich hatte sie ihn so in Versuchung geführt, dass er ihr nicht mehr widerstehen konnte. Es war ihre Schuld, dass er seiner Fleischeslust in einem sündigen Akt erlegen war. Wie sie so auf weichen Decken nackt vor ihm lag, konnte er sich nicht enthalten,
sein widerliches Ding zu berühren und so lange zu reiben, bis es steif war. Aber auch das erzählte er Bruder Gabriel nicht.
»Ausgezeichnet, ausgezeichnet.« Bruder Gabriels melodische Stimme glich einer sanften Hand, die seinen Kopf streichelte. »Und weil du dich so bewährt hast, werde ich dir einen weiteren Auftrag erteilen.«
Wenn Dale Gordon nicht schon längst mit dem Messer im Arm, an dem Gillian Lloyds Blut klebte, in seinem Bett gelegen hätte, wäre er vor ungläubiger Freude vermutlich zusammengebrochen. »Bruder Gabriel, für Sie und den GroÃen Plan tue ich alles.«
»Ich wünschte, alle Jünger hätten diesen Enthusiasmus.«
Dale Gordons bleicher Körper lief vor Begeisterung zartrosa an. »Was soll ich für Sie tun? Was ist Ihr Wunsch?«
»Nicht für mich«, sagte Bruder Gabriel mit der für ihn typischen Demut. »Für den GroÃen Plan.«
»Gewiss.«
»Bruder Dale, ich ermahne dich, denke sorgfältig darüber nach, ehe du einwilligst. Diesmal handelt es sich um eine äuÃerst schwierige Mission. Ihre Durchführung ist weitaus härter als die Opferung von Gillian Lloyd.«
Ein seltenes Gefühl von Macht und Selbstvertrauen durchpulste Dale Gordon und er platzte heraus: »Ich kann es schaffen, Bruder Gabriel. Was auch immer es sei. Geben Sie mir eine Mission, und ich werde sie erfüllen. Freudig!«
9
»Melina, kann ich dir irgendetwas bringen?«
»Nein, danke.«
Jem musterte sie intensiver. »Hast du es satt, dass dich das jeder fragt?«
»Ein bisschen«, gestand sie mit einem schmalen Lächeln. »Limonade ist kein Heilmittel. Trotzdem schätze ich deine Aufmerksamkeit und deine Sorge um mein Wohlbefinden.«
»Keiner weiÃ, was er sagen oder tun soll.«
»Das verstehe ich doch. Ich weià es ja auch nicht. Ich bin wie betäubt.«
Da sie kurz vor der vereinbarten Zeit eingetroffen waren, hatte man ihnen erklärt, sie sollten in einem kleinen überfüllten Raum warten, der neben dem Dezernat für Verletzung höchstpersönlicher Rechtsgüter â kurz DVPR genannt â lag. Obwohl hier gruppenweise Schreibtische herumstanden, stand keinem der Mitarbeiter ein eigenes Büro zu.
Lawson hatte dafür gesorgt, dass ihnen dieser Raum zur Verfügung stand. Trotz des unbequemen Mobiliars und der räumlichen Enge bot er wenigstens ein Mindestmaà an Privatsphäre. Denn inzwischen hatten sie die heimlichen Blicke der Leute satt, die sie wie jemanden musterten, der jeden Moment zusammenbrechen konnte.
Jem hatte vom Weinen rote Augen und zeigte weitere Anzeichen von Seelenqual. Normalerweise konnte nichts und niemand sein Ego und sein Selbstbewusstsein erschüttern. Sein überlegenes Gehabe wirkte auf andere oft abweisend. Aber heute Vormittag sah er eingefallen und unsicher aus. Mit Rücksicht auf die Situation hatte sein Dünkel eine Auszeit genommen.
Er nahm ihre Hand und rieb sie zwischen seinen. »Du hast kalte Hände, genau wie Gillian. Sie hatte nie warme Hände. Deswegen habe ich sie immer geneckt.«
Sie unterdrückte ein Schluchzen. Unter keinen Umständen wollte sie sich an einem so bedrückenden Ort gehen lassen. »Jem, ich kann mir ein Leben ohne sie nicht vorstellen.«
»Ich auch nicht.«
»Dabei gehörte sie erst seit einem Jahr zu deinem. Bei mir war sie schon seit der ersten Zellteilung. Sie war wie ein Teil von mir. Sie war ein Teil von mir.«
»Ich kann mir vorstellen, wie du dich fühlst.«
Obwohl er dies in Wahrheit nicht konnte, hatte sie keine Lust, ganz wettbewerbsmäÃig
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