Betrogen
religiöse Fanatikerin, die ihn emotional und aller Wahrscheinlichkeit nach auch physisch missbraucht hat. So oder so hat sie einen sexuell unterdrückten Einzelgänger erzeugt. Seit sie vor sieben Jahren starb, hat Gordon allein in dieser schäbigen Wohnung gehaust.
Aus irgendeinem Grund war er von Gillian besessen. Vielleicht ist sie einmal höflich zu ihm gewesen, was er als Einladung missverstanden hat. Wer wei� Der Kerl hatte ja in mancher Hinsicht Wahnvorstellungen. Warum hätte er sonst vor dem Sterben die Pose des Gekreuzigten eingenommen? Jedenfalls hat es bei ihm klick gemacht, als er Ihre Schwester an jenem Abend mit Hart sah. Daraufhin kam es zum Kurzschluss.«
»Und er hat sie erstochen.«
»Zweiundzwanzig Mal. Diesbezüglich ist der Autopsiebefund mehr oder weniger präzise, aber die relevanten Informationen sind da. Die Wunden stimmen in Länge und Form mit der Messerklinge überein. Die tödliche Wunde war der Stich in die Kehle. Dabei wurde die Halsschlagader getroffen, was zu dem enormen Blutverlust geführt hat. Ein weiterer traf direkt ins Herz. Achtzehn Stiche wurden nach dem Tod zugefügt. Sie musste nicht lange leiden, wenn überhaupt.«
»Es hätte mich treffen sollen«, sagte sie leise.
»Melina, so dürfen Sie nicht denken.« Er wechselte den Telefonhörer ans andere Ohr und nahm rasch einen Schluck Dr. Pepper. Vermutlich würde sie diesen Schuldkomplex ihr ganzes restliches Leben mit sich herumschleppen. Das war weder richtig noch fair. Trotzdem war es verdammt dumm von erwachsenen Frauen, die Rollen zu tauschen.
»Wie ist er zu den Fotos von ihr gekommen?«, fragte sie.
Er hatte sie ihr zwar nicht gezeigt, aber davon erzählt. »Durch ein winziges Loch, das er in die Wand zwischen seinem Labor und einem der Untersuchungszimmer in der Klinik gebohrt hat. Denen war das äuÃerst peinlich.«
»Mit Recht.«
»Tja.«
Das Schweigen zwischen ihnen dehnte sich auf die Länge eines Güterzugs.
Er räusperte sich leicht. »Ich dachte, Sie wollten das sicher alles wissen, bevor ich den Fall abschlieÃe«, erklärte er ihr.
»Mir scheint es aber nicht â«
Die Angehörigen des Opfers zögerten immer, den Fall zu den Akten zu legen. Selbst in einem glasklaren Fall wie diesem wollten sie einfach nicht akzeptieren, dass ihr geliebter Mensch nur aus einem einzigen Grund gestorben war: Weil ihn jemand hatte umbringen wollen. Das Leben ihres Verwandten war einem Anfall von Eifersucht oder Habgier oder der Laune eines Irren zum Opfer gefallen. Er machte ihnen keinen Vorwurf,
dass sie sich gegen die Herabsetzung eines Lebens wehrten, das ihnen kostbar gewesen war. Trotzdem wollte er diese altbekannten Sätze heute nicht mehr hören. Erstens war er todmüde, und dann stapelten sich bereits wieder die nächsten drei Fälle auf seinem Schreibtisch und forderten seine Aufmerksamkeit.
Andererseits mochte er Melina Lloyd und hatte obendrein Respekt vor ihr. Sie hatte eine Menge Mut bewiesen, und so viel Mumm bewunderte er. Deshalb ermunterte er sie wider besseres Wissen, ihre Gedanken auszusprechen. »Was scheint Ihnen nicht so?«
»Mir scheint ein derart tollkühnes Verbrechen für einen sozialen AuÃenseiter nicht typisch. Nichts deutet darauf hin, dass Dale Gordon den Mumm dazu hatte. Dazu war er, entschuldigen Sie den Ausdruck, nicht Manns genug. Deutet in seiner Vergangenheit irgendetwas auf latente Gewalt hin?«
»Nein, aber ich bin einigen Telefonaten nachgegangen, die er mit einem Fernsehprediger geführt hat.«
»Mit welchem?«
»Bruder Gabriel.«
»Blonde Haare, viele Zähne?«
»Genau der. Gordon war ein Fan von ihm, oder besser gesagt ein Jünger. Bruder Gabriels Hauptquartier liegt in New Mexico und nennt sich âºDer Tempelâ¹. Jedenfalls hat Gordon dort unzählige Male angerufen, besonders häufig letzten Monat. Ich habe die Sache durch den örtlichen Sheriff überprüfen lassen.«
»Und?«
»Der hat mit dem Prediger persönlich gesprochen; er hat sich an Dale Gordon erinnert. Also, diesen Mann rufen Tausende von Leuten an, und doch wusste er ganz genau, von wem der Sheriff sprach. Anscheinend hat Gordon zu jeder Tages-und Nachtzeit angerufen. Seine Telefonrechnungen bestätigen das.«
»Und weshalb hat er angerufen?«
»Um zu beichten. Hauptsächlich wegen seiner
Weitere Kostenlose Bücher