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Betrogen

Betrogen

Titel: Betrogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brown Sandra
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genauso gut eine antike Orgie darstellen können.
    Alle Frauen, die in unverblümt erotischen Posen gemalt waren, hatten wunderschöne Gesichter und Figuren und trugen, wenn überhaupt, durchsichtige Gewänder. Im Gegensatz dazu gab es nur wenige Männer, die in körperlicher Hinsicht alle minderwertiger wirkten und mehr Ähnlichkeit mit Eunuchen als mit Gladiatoren hatten.
    Die Christusgestalt in der Bildmitte ähnelte verblüffend Bruder Gabriel alias Alvin Medford Conway.
    Er war vor sechsundvierzig Jahren in Arkansas als jüngstes Kind eines Schrotthändlers und seiner Frau geboren worden, die bereits sieben weitere Kinder beherbergen, kleiden und füttern mussten. Der kleine Alvin erhielt nicht viel Aufmerksamkeit und konnte mehr oder weniger nach Belieben durch die Straßen der Kleinstadt streunen und sich die Zeit mit dummen Gedanken vertreiben.
    Bei einem dieser ziellosen Ausflüge war es passiert: Er hatte die Kirche gefunden.
    Das malerische evangelische Kirchlein lag am Stadtrand, wo die Hauptstraße auf die Autobahn traf. Ein kleiner Holzzaun trennte die schindelgedeckte Kapelle von dem hübschen
Friedhof. Den schlanken schwarzen Kirchturm krönte ein winziges Kreuz. Sein stolzestes Merkmal waren sechs hohe schmale Buntglasfenster, von denen je drei zu beiden Seiten des Altarraums lagen. Ein Mittelgang, durch den ein verlotterter roter Läufer zum Altar führte, trennte zwölf Reihen harter Holzbänke.
    Hinter dem Kommuniongitter erhob sich die Kanzel, auf der jeden Sonntag der Pastor in seiner Robe über der Gemeinde stand. Während seine Schäfchen matt mit den Papierfächern wedelten, die ein Bestattungsunternehmen kostenlos zur Verfügung stellte, gab ihnen der Prediger Anweisungen für das tägliche Leben. Er sagte ihnen, dass sie den Zehnten von ihrem Lohn abgeben, bei der Erziehung ihrer Kinder nicht mit der Rute sparen und mildtätig gegenüber denjenigen sein sollten, die weniger vom Glück begünstigt waren als sie. Weder fluchen noch trinken und zocken und tanzen sollten sie. Sie sollten sich endlich ein Beispiel nehmen und weder ihres Nachbarn Esel noch seines Ochsen oder seines Weibes begehren.
    Falls es einen Ochsen in ihrem Städtchen gab, so wusste der junge Alvin Conway davon nichts. Er war nicht einmal sicher, was ein Ochse war, aber dieser Punkt der Frohen Botschaft war auch nicht wichtig, ganz im Gegensatz zur restlichen Predigt über das Begehren. Sie war von überragender Bedeutung und veränderte den Lebenslauf des jungen Alvin Conway.
    Trotzdem hatte den Elfjährigen zuerst das bunte Glasfenster an dieser Kirche fasziniert, damals, an jenem Julitag, als es draußen so heiß war, dass der Himmel ganz weiß aussah, und Alvin die Zeit bis zum Abendessen tot schlug. Ganz zufällig war er damals auf diese Kirche gestoßen, die er schon früher gesehen hatte, ohne ihr je viel Aufmerksamkeit zu schenken. An jenem stickigen Tag trieb ihn die Langeweile dazu, stehen zu bleiben und näher hinzuschauen.
    Also hatte er gegenüber der Kirche auf der anderen Straßenseite mit seinen schmutzigen Füßen in einem staubigen Unkrautbüschel gestanden und sich träge an einem Striemen gekratzt,
den er sich tags zuvor an einer Brennnessel geholt hatte, und überlegte, was wohl passieren würde, wenn er einen Stein durch eines dieser hübsch funkelnden Fenster würfe.
    Das gäbe ein Zeter und Mordio! Man würde ihm die Hölle heiß machen, und vermutlich bekäme er von seinem alten Herrn den Riemen zu spüren. Seine Mutter würde plärren und ein Theater machen und klagen, er sei ein Tunichtgut und werde, genau wie sein ältester Bruder, noch vor der Volljährigkeit im Kittchen landen.
    Trotzdem wäre die Sache jede Abreibung wert. Wenigstens würden seine Leute dadurch von ihrem ständigen Streit um das knappe Geld abgelenkt, und was sie mit seinem Schwesterherz machen sollten, die sich von ihrem Freund, der inzwischen über alle Berge war, einen Braten in die Röhre hatte schieben lassen. Wenn die Polente Alvin nach Hause schleppte, müssten sie zur Abwechslung mal ihn zur Kenntnis nehmen.
    Während er noch immer das Für und Wider dieser mutwilligen Zerstörung abwog, hörte er Orgelklänge aus der Kirche dringen. Tapfer überquerte er die Straße, ohne sich recht der heißen Teerblasen bewusst zu sein, die unter seinen Fußsohlen

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