Betrogen
Sprung in den Conwayâschen Genen hatte ihn zu einem so gut aussehenden Mann gemacht? Er konnte sich zwar kaum mehr an das Aussehen irgendeines Familienmitglieds erinnern, aber besonders hübsch war wohl die ganze Brut nicht gewesen.
Kurz nach dem High-School-Abschluss war er von zu Hause fortgegangen und hatte nie wieder einen Blick zurückgeworfen. Keinem hatte er ein Wort davon gesagt. Eine Zeit lang hatte er sich den Kopf zerbrochen, was seine Leute wohl dachten, als sie eines Morgens nach dem Aufstehen feststellen mussten, dass er weg war. Hatten sie es überhaupt bemerkt? Wahrscheinlich ein, zwei Tage nicht, und dann hatten sie sein Verschwinden vermutlich unter Ertrinken oder Ãhnlichem abgeschrieben. Ein Mund weniger zu stopfen.
Seine Eltern waren inzwischen vermutlich tot, aber von seinen Geschwistern lebten sicher noch welche. Hatte ihn irgendeiner am Bildschirm wiedererkannt? Nein, denn andernfalls wären sie längst gekommen und hätten ihn angebettelt.
Von dem ganzen Wurf hatte er definitiv am besten ausgesehen, obwohl er sich noch gut daran erinnern konnte, wie sie ihn ständig wegen seines Blondschopfs geneckt hatten. Damals hatte er seine Haare gehasst, aber inzwischen war er froh, dass
sie mit zunehmenden Jahren nicht nachgedunkelt waren. Die weiÃgoldene Haarfarbe war sein Markenzeichen geworden, die zu angenehmen Vergleichen mit dem Erzengel Michael oder dem Verkündigungsengel Gabriel führte, seinem Namenspatron.
Aber dazu war es erst später gekommen, lange Zeit, nachdem er sich durch College und Priesterseminar gearbeitet hatte, wo er sich ursprünglich nur einschrieb, um sich Grundwissen anzueignen. Doch dann genoss er das Studium mehr, als er sich je hätte träumen lassen. Er strengte sich an und verwandte gleich viel Zeit auf die Beschäftigung mit dem Credo der Ungläubigen wie auf die Theologie. Seine Mission würde einer Seite gelten. Wenn er gewinnen wollte, musste er die Stärken seiner Gegner kennen.
Unmittelbar nach dem Priesterseminar nahm er eine Pastorenstelle in einer Kirche an, aber schon bald wurde klar, dass er seine Talente bei einer langweiligen kleinen Gemeinde verschwendete. Er wurde es müde, sich Kümmernisse anzuhören, Kinder zu taufen, Kranke zu besuchen und die Toten zu begraben. Es war köstlich einfach, die Menschen so zu manipulieren, dass sie ihn sonntags zum Essen einluden und ihm Liebesgaben anboten. Auch das Entjungfern ihrer Töchter bot nur wenig mehr Herausforderung. Er war zu GröÃerem und Besserem bestimmt. Warum sollte er sich also auf Kleinkram beschränken?
Er zog in eine gröÃere Stadt, an eine gröÃere Kirche, aber der einzige Unterschied bestand in der Qualität des Sonntagsessens und groÃzügigeren Gaben. Die Töchter waren überall mehr oder weniger gleich. Natürlich trieben es alle liebend gerne mit ihm, aber nur eins machte sie wirklich an: Sie kannten das Geheimnis des Sündenfalls ihres Pastors, sie waren die einzige Frau, die ihn zur BuÃe gezwungen und fast zur Aufgabe seines Priestertums getrieben hatte. Sie spielten ja so gerne Isebel und Delila. Je verruchter sie sich selbst wähnten, umso vergnüglicher war die Sache.
Seine dritte Pfarrkirche verfügte über einen so groÃen Geldsäckel, dass man den Sonntagsgottesdienst über einen Lokalsender ausstrahlen konnte. Schon bald hatten sie die höchsten Einschaltquoten und wurden regional übertragen. Und zwar mit so viel Erfolg, dass er seine Kanzel aufgab und sich voll und ganz der Verkündigung des Evangeliums im Fernsehen widmete. Warum sollte er sich auf einen Staat beschränken? Warum nicht gleich landesweit ausstrahlen? Oder gar global?
Und der Rest, liebe Leute, ist Geschichte.
Am liebsten hätte er laut aufgelacht, was aber schwierig war, wenn man gerade verdammt gut gelutscht wurde.
Heute war Bruder Gabriels Priestertum ein Multi-Millionen-Dollar-Unternehmen. Alvin Medford Conway hatte auf der ganzen Welt Trabanten, die ihm willig jeden Wunsch erfüllten. Er kontrollierte die Gehirne ganzer Heerscharen von Jüngern und übte so viel Einfluss auf das Denken von Menschen aus wie jedes Staatsoberhaupt, vielleicht sogar mehr.
Im letzten Jahr war er zusammen mit dem Papst bei einer internationalen Religionskonferenz in Belgien aufgetreten. Als man den alten Herrn vorgestellt hatte, hatte er bei weitem nicht so viel Jubel ausgelöst wie Bruder Gabriel. Der
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