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Betrügen lernen

Betrügen lernen

Titel: Betrügen lernen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Bartens
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auch einen Rock in einer anderen Farbe anziehen können.
    Als ich mir weitere Gedanken über die Signalgebung ihrer Textilien mache – der eng sitzende Rollkragenpullover ist echsengrün und wechselt in dem trüben Licht aufregend die Farbe von Lind- zu Grasgrün –, stürmt eine Schar ostdeutscher Jungmänner in die Bar. Sie sind alle schon ziemlich angetrunken, ordern aber unvernünftigerweise noch mehr Alkohol. Kaum sind sie angekommen, machen sie grob anzügliche Anspielungen, die sich nur auf meine Begleiterin beziehen können. Peinlich und ärgerlich.
    An diesen Rüpeln sind mehrere Tausend Jahre mensch licher Evolution spurlos vorbeigegangen. Man kann die derben Bemerkungen großzügig als landsmannschaftliche Lobpreisungen von Valeries sekundären Geschlechtsmerkmalen interpretieren. Schön ist das allerdings nicht, und diese fremden Männer mit den aufgedunsenen Gesichtern werden immer lästiger.
    Ich muss an die neuesten Forschungen von Brenz und seiner Arbeitsgruppe zum Beziehungsverhalten der Was serläufer denken. Bisher haben wir angenommen, dass bei Wasserläufern allein die dominanten und beson ders aggressiven Männchen zum Zuge kommen und die scheuen Insekten den Kürzeren ziehen und dumm in die Tiefe schauen, während die Weibchen von den Angebern begattet werden. Aber Brenz, dieser Teufelskerl, hat die bisherige Beziehungsforschung über Wasserläufer auf den Kopf gestellt!
    Denn auch die scheuen, freundlichen Wasserläufer bekommen ihre Weibchen ab. Man muss den Tieren nur genügend Raum lassen und den Versuchsaufbau den Bedingungen in der freien Natur nachempfinden. Brenz hat dazu keinen Aufwand gescheut und wassergefüllte Beziehungskisten konstruiert. Aus denen können die Weibchen in benachbarte, weniger bevölkerte Bassins ausweichen, wenn sie bedrängt werden. Sind alle Tiere in einem Raum vereinigt und können nirgendhin ausweichen, dominieren die aggressiven Männchen. Bleiben aber Öff nungen zu anderen Beobachtungskammern bestehen, ziehen sich die Weibchen von den Angebern unter den Wasserläufern zurück und weichen aus, um sich den zurückhaltenden Männchen hinzugeben. Es gibt also doch so etwas wie Gerechtigkeit in der Natur, zumindest wenn genügend Platz vorhanden ist.
    Die Rüpeleien an der Bar sind inzwischen kaum mehr auszuhalten. Die Kerle sind widerlich aufdringlich. Eigent lich muss man diese unverschämten Burschen zurechtweisen. Vorerst ignoriere ich sie aber noch, und Valerie geht auch nicht weiter auf sie ein. Unsere Balzanbahnung gerät darüber allerdings ein wenig ins Stocken.
    Normalerweise hätte ich den Kerlen eine Lektion erteilt, schließlich hatte ich früher Kurse in diversen asiatischen Selbstverteidigungstechniken belegt. Aber noch haben sie uns ja nicht angegriffen. Zudem habe ich eben auch die nicht so schnell wiederkehrende Chance, Zeuge eines beeindruckenden wissenschaftlichen Experiments zu werden. Ein Dilemma für jeden Mann, der sich zwar den ritterlichen Tugenden verpflichtet fühlt und einer Dame in Not sofort Beistand leisten will, der aber auch den wilden Entdeckergeist des Forschers in sich lodern spürt und weiß, dass die Wissenschaft manchmal Opfer verlangt. Ließen sich die neuesten Ergebnisse der Wasserläuferforschung vielleicht auch auf den Menschen übertragen? Könnte eine bisher unbewiesene Hypothese endlich belegt werden?
    Ich nicke meiner Begleitung vielsagend zu. Valerie wird es bestimmt verstehen. Sie muss es verstehen. Vielleicht nicht gleich, aber später. Erklären kann ich es ihr jetzt nicht, dann wäre alles kaputt. Ich stehe in aller Ruhe auf und ziehe mich in den angrenzenden Nachbarraum in die Kaminecke zurück. Würde sie mir sofort folgen und damit die bisher zu Unrecht verkannte Ähnlichkeit von Menschen und Wasserläufern in einem Einzelfallexperiment erhärten? Ich träume bereits von unserem gemeinsamen EU-Forschungsantrag, den ich mit dieser Kasuistik einleiten würde.
    Die Jungmänner pöbeln noch ein bisschen herum, aber nachdem der Barmann einmal kurz und entschieden laut geworden ist und sie in ihre Schranken verwiesen hat, geben sie Ruhe und trollen sich. Fast eine Idee zu früh, denn es wäre ja spannend gewesen, wie lange Valerie es bei diesen Rabauken aushält und wann sie zu mir kommt, um sich mir hinzugeben. Einer macht im Hinausgehen noch eindeutige Zeichen in Richtung meiner Begleiterin, aber sie ignoriert das ziemlich cool. Sie hat zweifellos Klasse. Ich begehre sie gerade umso mehr.
    Valerie bestellt

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