Betrügen lernen
Gummihandschuhe abstreift. »Nach ein paar Tagen wird das aber wieder vorbei sein.«
Keine besonders beglückende Vorstellung, aber das wird sich schon wieder geben.
»In den nächsten Tagen werden sich ihre Hoden womöglich auch etwas schwer anfühlen«, sagt der Arzt.
»Ach Herr Doktor, das tun sie doch schon lange«, will ich antworten.
Ich sage es dann aber doch nicht, sondern verabschiede mich mit einem seltsam tauben Gefühl zwischen den Beinen.
Unser Lied
Clara hat es lange offengelassen, ob sie zu dem Abendes sen ins Dolce Vita kommt. Das redet sie sich zumindest ein. Eigentlich weiß sie von dem Moment an, da Raffael die Ein ladung ausgesprochen hat, dass sie hingehen wird. Sie hat sich den ganzen Nachmittag darauf vorbereitet. Zu Alex hat sie gesagt, sie würde sich mit Dorothee treffen und letzte Planungen für das Fest besprechen. Sie kam sich lächerlich vor, kindisch, solche Notlügen hat sie schon lange nicht mehr nötig gehabt. Aber Alex hat nicht weiter gefragt und sich mit ein paar Fachbüchern zurückgezogen.
Clara ist schon um 19.45 Uhr in der Nähe des Lokals, aber sie geht auf und ab und plant, das Feinschmeckerrestaurant erst um 20.05 Uhr zu betreten. Soll Raffael bloß nicht denken, dass sie ihm hinterherläuft. Das hat sie gar nicht nötig, sie kennt ihn ja kaum. Als sie eintritt, ist Raffael schon da. Er kommt mit offenen Armen auf sie zu, umarmt sie aber nicht, sondern gibt ihr einen angedeuteten Handkuss.
»Schön, dass du da bist! Und wie umwerfend du aussiehst«, sagt er und hakt seinen Arm bei ihr unter.
»Ja, schön« – mehr bringt sie nicht heraus. Was für eine originelle Bemerkung. Sie kommt sich wahnsinnig unbeholfen vor, aber da muss sie jetzt durch.
»Ich habe den Tisch dort hinten am Fenster für uns ausgesucht«, sagt Raffael und führt sie zum Platz. »Toni, bringst du uns zwei Champagner – aber von dem trocke nen, den du nur für deine Lieblingsgäste rausrückst.« Toni nimmt Raffaels Bestellung mit einem freundlichen Nicken entgegen und wirft Clara dann einen fast mitleidigen Blick zu.
Eigentlich verachtet sie Männer, die ihr Selbstbewusstsein daraus gewinnen, dass sie mit Gastwirten, Oberkellnern und anderem Servicepersonal plumpe Ver traulichkeit demonstrieren. Clara könnte nie mit einem Mann zusammen sein, der ins Restaurant kommt und zu dem Chef sagt: »Wie immer.«
Aber Raffael ist ja ganz anders. Er plaudert, er lächelt, er beugt sich zu ihr. Wie gut er aussieht! Sie fühlt sich von seinem Charme wie in einen warmen, flauschigen Frot teebademantel gehüllt, und zwar von Kopf bis Fuß. Zu ihr dringen nur soziale Wohllaute herüber, ein weiches Vibrieren, sie hört gar nicht genau, was er sagt, sie findet nur, dass es sich schön anhört.
Zwischendurch muss sie über sich selbst lachen, weil sie sich wie ein pubertierender Teenager von diesem Kerl um den Finger wickeln lässt. Dabei ist es ihr bei anderen Männern doch sonst immer ungemein wichtig, dass sie eine gemeinsame inhaltliche Ebene finden, ein intellek tueller Austausch möglich ist. Sie genießt einfach nur, dass es sie in seiner Anwesenheit sanft durchströmt.
Das Essen ist wundervoll: Jakobsmuscheln, dann Wolfs barsch, dazu dieser spritzig-trockene Weißwein, von dem sie schon mehr als genug probiert hat, jetzt die Mousse von weißer Schokolade und frisches Obst, dazu wird ein schwerer fruchtiger Dessertwein gereicht. Erst nach einer Weile merkt sie, dass sie gar nichts bestellt hat. Wie umsichtig von Raffael, er hat das Menü für sie ausgesucht und arrangiert.
Es wird spät, und irgendwann sind nur noch wenige Gäste im Dolce Vita. Die Musik ist inzwischen leiser geworden. Raffael hat ihr nachgeschenkt und gerade von seiner Reise nach Patagonien erzählt, auf der er zu sich selbst gefunden hat. Ganz allein war er drei Monate lang mit dem Rucksack in der Wildnis unterwegs.
Während Raffael berichtet, welche intensiven Erfahrungen er während dieser Reise gemacht hat, greift er immer mal wieder spielerisch nach Claras Hand und streichelt über ihren Handrücken. Sie lässt es geschehen, ihr gefällt es sogar. Beim nächsten Mal, als er ihre Hand berührt, streift er ihr beiläufig mit erstaunlichem Geschick einen Armreif über.
»Wie schön der ist«, sagt Clara entzückt. Es ist lange her, dass Alex ihr zuletzt Schmuck geschenkt hat. Und auch damals hat er zielsicher danebengegriffen. Er brach te ihr von einer seiner Reisen eine kleine unscheinbare, geschnitzte Holzdose mit, in der
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