Betrügen lernen
sich noch einen Baileys Cream, dann geht sie sehr langsam, mit sehr verführerisch ausladen dem Hüftschwung auf mich zu. Bestimmt ist sie jetzt sehr anlehnungsbedürftig nach dieser Aufregung. Und ich Glückspilz bin gerade da, um ihr Stärke, Sicherheit und allen notwendigen männlichen Trost und Schutz zu ge ben. Der Alkohol und die aufgeladene Atmosphäre haben sie offenbar in Stimmung versetzt. Überstandene Gefahr macht Lust auf mehr, auf eine Feier des Lebens. Man möchte jubilieren, dass die Bedrohung überstanden ist. Mein Körper und Geist sind auf Hochspannung. Ihrer bestimmt auch.
Valerie fixiert mich. Mit jedem Schritt wird ihr Blick intensiver. Was für eine Frau. Ich sehe sie herausfordernd und direkt an und halte ihrem Blick stand. Ich spreize meine Beine lässig wie ein Cowboy, der sich nach einem langen, staubigen Ritt im Saloon ausruht und seinen Drink verdient hat. Sie soll sehen, dass ich mich in ihrer Anwesenheit sicher fühle, ihr voll und ganz vertraue und sogar meine Genitalien schutzlos preisgebe. Dabei bin ich gerade erst an dieser heiklen Stelle operiert worden. Im Tierreich ist das als eine unbedingte Geste des Vertrauens zu verstehen. Zugleich kann sie meine Haltung als ein Signal meiner Potenz auffassen. Schau nur her, was ich zu bieten habe. Valeries roter Rock leuchtet noch greller als zuvor. Ich bin geblendet. Wie schön sie ist!
»Du elender Feigling«, zischt sie laut und scharf, als sie direkt vor mir steht. Dann tritt sie mich mit voller Wucht in den Unterleib. Ich habe Angst, dass die Operationsnähte an meinen Hoden platzen. Jetzt bin ich bestimmt endgültig kastriert. Davon stand bei Brenz nichts, aber Wasserläufer können ja auch nicht treten.
Ich sehe noch kurz, wie Valerie sich umdreht und ihr Rock von hinten grellrot aufleuchtet. Dann wird mir schwarz vor Augen.
Neue Liebe
Clara wacht auf und ist geblendet. Sie braucht eine Weile, um sich zu orientieren, zumal sie unter furchtbaren Kopf schmerzen leidet. Riesige Fenster, ein strahlend blauer Himmel, aber keine Vorhänge. Auch das Bett, in dem sie liegt, ist riesig. Es steht mitten im Raum. Offenbar handelt es sich um eine ganze Etage über den Dächern der Stadt, jedenfalls hat man einen traumhaften Blick in Richtung der Berge.
Sie stellt sich vor, dass ein alter Lastenaufzug zu diesem Penthouse oder Loft hinaufführt, so wie in dem Film »Diva«, in dem sich der Held in seine Wohnung zurückzieht, nachdem er sich verzückt eine Oper angehört hat. Der Held, das ist dieser Halbstarke mit dem Mofa, der immer vor seinem Glaszylinder meditiert, in dem träge eine Welle hin und her schwappt, ähnlich wie in diesen Lavalampen, die vor 20 Jahren mal Mode waren.
Das Zimmer ist so groß, dass neben dem Bett noch Platz ist für eine Badewanne mit verzierten Füßen auf einem Podest. Hat sie hier etwa gebadet? Hat Raffael sie gestern darin eingeschäumt? Die Wohnung scheint nur aus einem riesigen Raum zu bestehen, der wegen der großen Fenster und etlicher Spiegel noch größer wirkt. Am anderen Ende des Raumes, ganz hinten an der kaum noch zu sehenden Wand, stehen alte Maschinen, die Clara nicht einordnen kann. Was war das hier mal, eine Eisengießerei? Eine Werkstatt? Oder hat Raffael besondere Vorlieben, und das dahinten ist sein ganz spezielles Folterwerkzeug?
»Ein Korntrenner und ein Schüttelsieb – und dahinten eine uralte Werkbank«, sagt Raffael, der ihre Gedanken zu ahnen scheint. Er sitzt breitbeinig in Boxershorts, aber mit freiem Oberkörper auf einem Designerstuhl vor ihr, direkt neben dem Bett. Der Stuhl steht verkehrt herum, die Lehne hat er vor dem Bauch und zwischen den Beinen, so wie das früher die coolen Jungs in der Schule manchmal gemacht haben. »Keine 800 Meter von hier stand jahrhundertelang eine Mühle, und Luke, mein alter Freund, hat die Gerätschaften seiner Vorfahren aus Sentimentalität aufgehoben, dabei wurde die Mühle schon vor mehr als 50 Jahren abgerissen.«
»Aha.« Clara nickt verwirrt. »Haben wir, ich meine, sind wir gestern Abend zusammen? Ich wollte sagen: Was ist passiert? War was zwischen uns?«
Raffael geht auf die Frage nicht ein, sondern steht auf und dreht ihr den Rücken zu, um das Frühstückstablett zu holen, das er bereits in der Küchennische vorbereitet hat. Kaffee, Orangensaft, frische Croissants und Aspirin. Jetzt macht er wieder eine seiner notorischen Pausen.
»Was denkst du denn?«, sagt er, und es klingt eher nach einem Triumph als nach einer Frage. »Mühlen
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