Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Bettler 01 - Bettler in Spanien

Titel: Bettler 01 - Bettler in Spanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
Vom Netzwerk:
unterschiedliche Menschen brauchen unterschiedlich viel Schlaf. Und nur wenige, ganz wenige, sind wie du. Du brauchst überhaupt keinen.«
    »Und warum nicht?«
    »Weil du etwas Besonderes bist. Weil du besser bist als die meisten anderen Menschen. Bevor du geboren wurdest, habe ich dafür gesorgt, daß einige Ärzte mithalfen, etwas Besonderes aus dir zu machen.«
    »Weshalb?«
    »Damit du alles tun kannst, was du willst, und deine Einzigartigkeit als Individuum zum Ausdruck kommt.«
    Leisha wand sich in seinen Armen, um ihm ins Gesicht sehen zu können; die Worte sagten ihr gar nichts. Papa beugte sich über sie hinweg und berührte eine einzelne Blume auf einem hohen Baum. Die Blume hatte dicke weiße Blütenblätter, so weiß wie die Sahne, die Papa in den Kaffee goß, und im Innern war sie hellrosa.
    »Sieh mal, Leisha, dieser Baum hat diese Blüte hervorgebracht. Weil er es kann. Und nur dieser Baum kann diese wunderbare Blüte machen. Diese Pflanze, die dort drüben hängt, kann es nicht, und die dort kann es auch nicht. Nur dieser Baum. Daher ist es für den Baum das wichtigste, diese Blüte hervorzubringen. Die Blüte ist die Einzigartigkeit, die Individualität des Baums, die so zum Ausdruck kommt. Nichts sonst macht einen wirklichen Unterschied.«
    »Das verstehe ich nicht, Papa.«
    »Eines Tages wirst du es verstehen.«
    »Aber ich möchte es jetzt verstehen!« sagte Leisha, und Papa lachte beglückt auf und drückte sie an sich. Das fand sie angenehm, aber sie wollte es trotzdem verstehen…
    »Wenn du Geld verdienst, ist das dann deine Indiv… diese Sache eben?«
    »Ja!« nickte Papa begeistert.
    »Dann kann niemand sonst Geld verdienen? Wie nur dieser Baum diese Blume machen kann?«
    »Niemand sonst kann es auf die Weise tun, wie ich es tue.«
    »Was machst du mit dem Geld?«
    »Ich kaufe Dinge für dich. Ich habe dieses Haus gekauft, kaufe dir Kleidchen, bezahle die Hauslehrerin, damit sie mit dir lernt, und das Auto, in dem du fährst.«
    »Was macht der Baum mit der Blume.«
    »Er ist stolz darauf und erfreut sich daran«, sagte Papa, was keinen Sinn ergab. »Der Allerbeste zu sein, das ist es, was zählt, Leisha. Durch eigene, individuelle Leistung über alle anderen hinauszuwachsen, das ist alles, was zählt.«
    »Mir ist kalt, Papa.«
    »Dann bringe ich dich lieber zurück zum Fräulein.«
    Leisha rührte sich nicht. Sie streckte einen Finger aus und strich über die Blüte. »Ich möchte schlafen, Papa.«
    »Nein, Schätzchen, das möchtest du nicht. Schlaf ist bloß verlorene Zeit, vergeudetes Leben. Ein kleiner Tod.«
    »Alice schläft aber.«
    »Alice ist nicht wie du.«
    »Alice ist nichts Besonderes?«
    »Nein. Nur du.«
    »Warum hast du sie nicht auch besonders gemacht?«
    »Alice hat sich selber gemacht. Sie hat mir keine Chance gegeben, sie zu etwas Besonderem zu machen.«
    Das war alles viel zu kompliziert für Leisha. Sie hörte auf, die Blüte zu streicheln und rutschte von Papas Knie.
    Er sah sie an. »Mein kleiner, unermüdlicher Forschergeist«, lächelte er. »Wenn du erst einmal erwachsen bist, wirst du merken, wie turmhoch du über den anderen Menschen stehst. Diese Besonderheit wird eine neue Kategorie von Menschen bilden, eine Kategorie, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat. Du könntest jemand werden, der so ist wie Kenzo Yagai. Er hat den Yagai-Generator erfunden, der die ganze Welt mit Energie versorgt.«
    »Papa, du siehst lustig aus mit dem grünen Plastikumhang!« Leisha lachte, und Papa lachte auch. Aber dann sagte sie: »Wenn ich groß bin, werde ich so besonders sein, daß ich einen Weg finden werde, Alice auch zu etwas Besonderem zu machen«, und da hörte Papa auf zu lachen.
    Er brachte sie zum Fräulein zurück, das ihr zeigte, wie man ihren Namen schrieb. Und das war so aufregend, daß sie das rätselhafte Gespräch mit Papa schnell vergessen hatte. Es waren sechs Buchstaben, alle verschieden, und zusammen ergaben sie ihren Namen! Leisha schrieb ihn wieder und wieder, lachte dabei, und das Fräulein lachte auch. Doch später, am Morgen, fiel ihr die Unterhaltung wieder ein, und danach dachte sie oft daran, wobei sie die Worte, die ihr nicht vertraut waren, im Geist herumdrehte wie kleine, harte Steine; doch der Teil, an den sie am häufigsten dachte, bestand nicht aus Worten. Er bestand aus Papas finsterer Miene, nachdem sie ihm gesagt hatte, sie würde ihre Besonderheit dazu benutzen, auch Alice besonders zu machen.
     
    Jede Woche kam Frau Doktor Melling zu

Weitere Kostenlose Bücher