Bettler 01 - Bettler in Spanien
Weiterentwicklung deiner Eigeninitiative bot, und dazu mußte ich abwarten, bis du das Thema anschneiden würdest.«
»Also gut«, sagte Leisha leicht verstimmt. In letzter Zeit schien es recht häufig zu Verstimmungen zwischen ihnen beiden zu kommen, und das aus gar keinem besonderen Grund. Sie straffte die Schultern, und ihr ungewohnt neuer Busen drängte nach draußen. »Jetzt wünsche ich mir, es zu erfahren. Wie viele Schlaflose gibt es, wer sind sie und wo sind sie?«
»Wenn du den Ausdruck ›die Schlaflosen‹ gebrauchst, dann hast du wohl einiges über das Thema gelesen«, sagte Camden. »Also weißt du sicher schon, daß es bislang in den Vereinigten Staaten eintausendundzweiundachtzig von euch gibt; dazu kommen noch etliche im Ausland. Die meisten von ihnen leben in den Großstädten. Neunundsiebzig wohnen in Chicago, überwiegend noch kleine Kinder. Nur neunzehn gibt es auf der ganzen Welt, die älter sind als du.«
Leisha wollte gar nicht abstreiten, daß sie das alles schon gelesen hatte. Camden beugte sich auf seinem Stuhl vor und sah sie eingehend an. Leisha kam auf den Gedanken, daß er möglicherweise eine Brille brauchte. Sein Haar war nun vollkommen grau, schütter und borstig wie die einsamen Überbleibsel an einem alten Strohbesen. Das Wall Street Journal listete ihn unter den hundert reichsten Männern Amerikas auf, und Women’s Wear Daily betonte, daß er der einzige Milliardär im Land war, der sich nicht in der Welt internationaler Parties, Wohltätigkeitsbälle und Privatsekretäre bewegte. Camden benutzte sein Flugzeug in erster Linie, um damit rund um die Welt von einem Geschäftstermin zum nächsten zu gelangen, um seinen Pflichten als Aufsichtsratsvorsitzender der Yagai-Wirtschaftsakademie nachzukommen, und für wenig sonst. Über die Jahre war er immer reicher, immer zurückgezogener und immer intellektueller geworden. Leisha verspürte eine heiße Woge der alten Zärtlichkeit.
Sie ließ sich seitlich in einen Ledersessel fallen, und ihre langen, schlanken Beine baumelten über die Armlehne. Gedankenverloren kratzte sie an einem Mückenstich auf dem Oberschenkel. »Gut. Ich möchte Richard Keller kennenlernen.« Er wohnte in Chicago und war von allen Beta-Test-Schlaflosen derjenige, der ihr altersmäßig am nächsten kam. Er war siebzehn.
»Warum sagst du das mir? Warum machst du dich nicht einfach auf den Weg zu ihm?«
Leisha bildete sich ein, einen Anflug von Ungeduld aus seiner Stimme herausgehört zu haben. Normalerweise war es ihm lieber, wenn sie sich zuerst eingehend für eine Sache interessierte und ihm erst hinterher darüber berichtete. Beide Teile waren wichtig.
Leisha lachte. »Weißt du was, Papa? Du bist vorhersehbar.«
Camden lachte auch, und mitten im Lachen kam Susan ins Zimmer. »Das ist er sicher nicht. Roger, wie ist das also mit dieser Konferenz am Donnerstag in Buenos Aires? Findet sie nun statt oder nicht?« Als er nicht antwortete, bekam ihre Stimme eine schrillere Note. »Roger? Ich rede mit dir!«
Leisha wandte den Blick ab. Vor zwei Jahren hatte Susan endgültig die Genforschung ad acta gelegt, um sich Camdens Haus und seinem Terminkalender zu widmen. Davor hatte sie große Mühe gehabt, alles unter einen Hut zu bringen. Doch seit sie Biotech verlassen hatte, schien Susan sich verändert zu haben. Sie sprach in gepreßten Tonfall, sie bestand darauf, daß die Köchin und der Gärtner ihre Anweisungen buchstabengetreu und ohne die geringste Abweichung befolgten, und ihre hellen Fransen hatten sich in platinblonde, starr gemeißelte Wellen verwandelt.
»Sie findet statt«, sagte Roger.
»Fein, daß ich wenigstens eine Antwort kriege! Soll ich mitkommen?«
»Wenn du magst.«
»Ich mag.«
Susan ging aus dem Zimmer. Leisha stand auf und streckte sich. Ihre langen Beine hoben sich auf die Zehenspitzen. Es war ein gutes Gefühl, sich so zu dehnen, immer größer zu werden und dabei zu spüren, wie die Sonnenstrahlen, die durch das breite Fenster hereinfielen, über die geschlossenen Lider strichen. Lächelnd sah sie wieder ihren Vater an und bemerkte einen unerwarteten Ausdruck auf seinem Gesicht.
»Leisha…«
»Ja?«
»Triff dich mit Keller. Aber sieh dich vor.«
»Weswegen?«
Doch Camden antwortete nicht.
Die Stimme am Telefon hatte unverbindlich geklungen. »Leisha Camden? Ja, ich weiß, wer du bist. Donnerstag um drei Uhr nachmittags?«
Das Haus wirkte einfach; es war etwa dreißig Jahre alt, ein wenig an den Südstaatenstil angelehnt
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