Bettler 01 - Bettler in Spanien
bärtigen Gammler mit dumpfem Blick und einem kraftlosen, gefährlichen Groll gegen alles. Jetzt trug Drew dezente, teure Kleider und dazu nur eine einzige verräterisch protzige, diamantenbesetzte Armspange. Sein Körper war voller und reifer geworden; er war zweifellos, bemerkte Leisha ohne Begehrlichkeit, ein gutaussehender Mann. Und was immer er sonst noch war, hatte er gelernt zu verbergen.
»Wie schade um Alice«, sagte er, »sie war die großmütigste Seele, die mir je begegnet ist.«
»Das wußtest du? Aber du hast recht. Und es war ausschließlich ihr eigenes Verdienst, denn von denjenigen, die ihr hätten helfen sollen, bekam sie nur wenig Unterstützung.«
Er fragte nicht, was Leisha damit meinte; Worte waren noch nie Drews Kommunikationsmittel gewesen.
Statt dessen sagte er: »Sie wird mir fürchterlich fehlen. Ich weiß, ich bin seit Jahren nicht hier gewesen.« Er sprach ohne jeden Anflug von Verlegenheit. Drew hatte sich offenbar mit der letzten unangenehmen Szene zwischen ihm und Leisha versöhnt. Doch wenn das stimmte, weshalb war er dann vier Jahre lang weggeblieben? Leisha hatte ihm genug Botschaften geschickt, in denen sie ihn einlud, wieder nach Hause zu kommen. »Aber Alice und ich sprachen jeden Sonntag über ComLink miteinander. Manchmal stundenlang.«
Das hatte Leisha nicht gewußt. Sie verspürte ein Aufflammen von Eifersucht; aber auf wen war sie eifersüchtig? Auf Alice oder auf Drew?
»Sie hat dich geliebt, Drew«, sagte Leisha. »Du warst ein sehr wichtiger Mensch für sie. Und sie hat dich in ihrem Testament bedacht, aber das kann alles warten bis nach dem Begräbnis.«
»Ja«, sagte Drew, sichtlich ohne besonderes Interesse an seiner Erbschaft. Leisha wurde es warm ums Herz. Das Kind Drew war immer noch da; es verbarg sich unter der glitzernden Armspange und der sonderbaren Karriere, die keiner von beiden erwähnte. Und doch sollte sie sie erwähnen, oder etwa nicht? Sie war doch Drews Werk, seine Errungenschaft, seine individuelle überragende Leistung.
»Ich habe deine Karriere in den Medien verfolgt«, sagte Leisha. »Du hattest viel Erfolg, und wir sind alle sehr stolz auf dich.«
Ein Funkeln erschien in seinen Augen. »Du hast einen meiner Auftritte gesehen?«
»Nein, keinen Auftritt. Nur die Kritiken, das überschwengliche Lob…«
Das Funkeln erlosch. Aber sein Lächeln war immer noch herzlich. »Schon gut, Leisha, ich weiß, du konntest nicht zusehen.«
»Ich wollte nicht…«, korrigierte sie ihn, bevor sie sich zurückhalten konnte.
Er lächelte breiter. »Nein, du konntest nicht. Laß nur. Aber selbst wenn du dich nie mehr von mir in lichte Träume versetzen läßt, bleibst du der Mensch, der meine Arbeit am meisten beeinflußt hat oder je beeinflussen wird.«
Leisha wollte den Mund öffnen, um zu antworten –auf die Emotionen, auf den Stachel unter den Emotionen, auf die eigensinnige Ambivalenz unter beidem –, aber noch ehe sie dazukam, fügte Drew hinzu: »Ich habe jemanden zu Alices Begräbnis mitgebracht.«
»Wen?«
»Kevin Baker.«
Leishas Verlegenheit war wie weggeblasen. Drew war immer noch imstande, sie zu verwirren – Drew, dieser Sohn, den sie nie geboren hatte und der zu etwas geworden war, das sie weder erfühlte noch verstand –, Kevin hingegen war eine bekannte Größe. Sie kannte ihn seit sechzig Jahren – seit einer Zeit, in der Drews Vater noch nicht geboren war.
»Weshalb ist er gekommen?«
»Warum fragst du ihn nicht selbst?« meinte Drew kurz angebunden, und da wußte Leisha, daß Drew von Kevin oder aus den Datennetzen oder von irgendwo sonst alles über sie und Kevin erfahren hatte. Alles, was in sechzig Jahren zusammengekommen war. Die Zeit lagert sich in immer dickeren Schichten ab, dachte Leisha. Wie Staub.
»Und wo ist Kevin jetzt?«
»Im nördlichen Innenhof.« Als Leisha sich anschickte davonzugehen, rief Drew hinter ihr her: »Leisha, noch etwas. Es hat sich nichts verändert. Im Hinblick auf das, was ich will.«
»Ich weiß nicht, was du meinst«, sagte sie; sie wußte es sehr genau und schalt sich einen Feigling.
Er machte eine ungeduldige Handbewegung – wie alt war er jetzt eigentlich? Fünfundzwanzig. »Das glaube ich dir nicht, Leisha. Ich will das, was ich immer schon wollte. Dich und Sanctuary.«
Das kam unerwartet – zumindest eine Hälfte davon. Sanctuary. Es war zehn Jahre her, daß Drew es ihr gegenüber auch nur erwähnt hatte, und Leisha hätte gedacht, daß der kindische Traum von Rache oder
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