Bettler 01 - Bettler in Spanien
dann…«
»Nicht, daß ich, für meinen Teil, besonders viel sonst zu tun gehabt hätte«, bemerkte Richard. Seit der Welle von Schlaflosenfeindlichkeit hatten mit Ausnahme von zweien alle seine ratsuchenden Klienten, die auf ihre Absatzmöglichkeiten und damit auf die öffentliche Meinung Rücksicht nehmen mußten, ihre Aufträge widerrufen.
Über Groupnet, das sich immer noch auf Leishas Bildschirm befand, schrillte der bevorrangte Notfallston. Leisha stürzte hin. Es war Tony Indivino.
»Leisha, ich brauche deine fachliche Hilfe, wenn du sie mir zukommen lassen willst. Sie versuchen, mir wegen Sanctuary den Kampf anzusagen. Bitte nimm den nächsten Flug herunter.«
Sanctuary, der ›Zufluchtsort‹, bestand in erster Linie aus braunen klaffenden Wunden in der Spätfrühlingserde. Eine sehr gute Straße im südlichen Staat New York führte von Conewango, dem nächstgelegenen Ort, in das von der Zeit sanft gerundete, mit Kiefern und Walnußbäumen bewachsene Hügelland in den Allegheny Mountains. Einige niedrige, wartungsfreie Gebäude, alle sichtlich nach den gleichen klaren, ästhetischen Vorgaben angelegt, befanden sich in verschiedenen Stadien der Fertigstellung.
Jennifer Sharifi begrüßte Leisha und Richard ohne ein Lächeln. Sie hatte sich in den letzten sechs Jahren kaum verändert, doch diesmal war ihr langes schwarzes Haar ungekämmt, und aus ihren dunklen, riesengroßen Augen sprach die Belastung, unter der sie stand. »Tony möchte euch sehen, aber er will, daß ich euch erst alles zeige.«
»Was ist passiert?« fragte Leisha mit ruhiger Stimme.
Jennifer machte keinen Versuch, ein offenbar bestehendes Problem zu leugnen. »Später. Erst seht euch einmal um in Sanctuary. Tony legt allergrößten Wert auf eure Meinung, Leisha. Er will, daß ihr alles zu Gesicht bekommt.«
Die Wohnschlafhäuser waren für jeweils fünfzig Personen angelegt, die sich die Benutzung von Küchen, Eßräumen, Ruhezonen und Bädern teilten; dazu war für eine Unzahl von Büroräumen, Studios und Laboratorien zur individuellen Nutzung gesorgt. »Wir nennen sie noch ›Wohnschlafhäuser‹, ungeachtet der Etymologie«, erklärte Jennifer, und selbst aus dieser Bemerkung, die aus jedem anderen Mund ein wenig scherzhaft geklungen hätte, hörte Leisha die sonderbare Kombination aus Jennifers gewohnter künstlicher Gelassenheit mit ihrer gegenwärtigen Nervosität heraus.
Unwillkürlich rang die Perfektion, mit der Tonys Planung den gemeinschaftlichen Aspekt und die Intimsphäre des Lebens der künftigen Bewohner dieser Häuser berücksichtigte, Leisha Respekt ab. Es gab ein Sport- und Fitnesszentrum, ein kleines Krankenhaus – »Spätestens Ende nächsten Jahres haben wir in der Gruppe achtzehn qualifizierte Ärzte, und vier von ihnen haben vor hierherzukommen« –, einen Kindergarten, eine Schule und eine Farm mit intensiver Bodennutzung. »Natürlich wird weiterhin der Großteil der Nahrungsmittel von draußen stammen. Genau wie die Arbeitsaufträge der Menschen hier, obwohl sie klarerweise soviel wie möglich von Sanctuary aus über Datennetze erledigen werden. Wir kapseln uns dadurch nicht von der Außenwelt ab, wir schaffen nur einen sicheren Ort, von dem aus wir unsere Geschäfte mit ihr abwickeln können.«
Leisha sagte nichts darauf.
Abgesehen von der Energieversorgung – völlig autarke Y-Energie – beeindruckte Leisha am stärksten der menschliche Sektor der Planung. Tony war es gelungen, Schlaflose aus faktisch allen Fachgebieten für eine Teilnahme an dem Projekt zu interessieren, um sowohl die anfallenden Erledigungen im Innern als auch die Verbindungen mit der Außenwelt sicherzustellen. »Rechtsanwälte und Wirtschaftsfachleute kommen als erste«, sagte Jennifer. »Sie bilden die wichtigste Verteidigungslinie zu unserem eigenen Schutz. Tony sieht ein, daß die meisten Machtkämpfe heutzutage in Gerichtssälen und bei Vorstandssitzungen ausgetragen werden.«
Aber nicht alle. Jennifer zeigte ihnen auch die Pläne für herkömmlichere Verteidigungsanlagen. Zum ersten Mal schien sich die straffe Haltung ihres Körpers etwas zu lockern.
Von vornherein hatte man jeden Versuch unternommen, die Verteidigung so zu planen, daß möglichen Angreifern Einhalt geboten wurde, ohne sie zu verletzen. Die Außengrenzen der vierhundert Quadratkilometer, die Jennifer erworben hatte, wurden nahtlos elektronisch überwacht – und manche Gemeinden im Land waren kleiner als Sanctuary, dachte Leisha leicht benommen.
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