Bettler 01 - Bettler in Spanien
Ms. LEISHA CAMDEN. In Blockbuchstaben. Und falsch geschrieben.
»Sieht aus wie eine Kinderschrift«, bemerkte sie.
Richard stand mit gesenktem Kopf breitbeinig da; aus seinem Gesicht sprach nur Müdigkeit. »Vielleicht soll sie absichtlich so wirken. Vielleicht rechnen sie damit, daß du bei einer Kinderschrift vertrauensseliger reagierst.«
»›Sie?‹ Richard, sind wir denn tatsächlich schon so paranoid?«
Er machte keinen Rückzieher. »Allerdings. Unter den gegenwärtigen Umständen sind wir das.«
Eine Woche zuvor hatte das New England Journal of Medicine Susans detaillierten, sachlich gehaltenen Artikel veröffentlicht. Eine Stunde später explodierten die Nachrichtensendungen im Rundfunk und im Datennetz bereits in einer Mixtur aus Spekulation, Effekthascherei, Empörung und Angst. Leisha und Richard hatten zusammen mit allen anderen Schlaflosen, die am Groupnet hingen, jede der vier Komponenten isoliert und graphisch dargestellt, um nach einer dominanten Reaktion zu suchen: Spekulation (»Die Schlaflosen könnten Hunderte Jahre alt werden, was folgende Auswirkungen haben könnte…«); Effekthascherei (»Wenn ein Schlafloser nur Schläferinnen heiratet, würde sein Leben lang genug währen, um ein Dutzend Ehefrauen zu haben, ein paar Dutzend Kinder und eine verwirrend zusammengesetzte Familie…«); Empörung (»Das Herumpfuschen an den Naturgesetzen hat nur widernatürliche Pseudomenschen hervorgebracht, die mit dem ungerechten Vorteil leben werden, mehr Zeit zur Verfügung zu haben: Zeit, um zu einer zahlreicheren Nachkommenschaft, zu mehr Autorität und Einfluß und zu mehr Vermögen zu kommen als jeder von uns Normalsterblichen…«); und Angst (»Wie lange wird es dauern, bis diese Superrasse an den Schalthebeln der Macht sitzt?«).
»Das läßt sich alles unter dem Stichwort Angst einordnen«, erkannte Carolyn Rizzolo schließlich, und das Groupnet stellte das differenzierte Analysieren ein.
Leisha war mitten in den Abschlußexamen ihres letzten Studienjahres; jeden Tag begleiteten sie abfällige Bemerkungen, wenn sie über das Universitätsgelände, durch die Korridore und in den Hörsaal eilte, und jeden Tag vergaß sie sie augenblicklich, sobald die mörderischen Prüfungen im Gange waren, die alle Studenten auf dieselbe demütigende Stufe von Bittstellern im Angesicht der ruhmreichen Universität stellte. Danach wanderte sie stets langsam und ausgelaugt zu Fuß heim zu Richard und zum Groupnet, bemerkte sehr wohl jeden Blick, der sie traf, und bemerkte auch, wie Bruce, ihr Leibwächter, sich zwischen sie und die anderen schob.
»Es wird sich legen«, meinte Leisha. Richard sagte nichts darauf.
Die Stadt Salt Springs in Texas erließ eine Verordnung des Inhalts, daß kein Schlafloser eine Konzession für den Ausschank von Alkohol erhalten durfte – mit der Begründung, daß die Bürgerrechtsbestimmungen auf dem aus der Unabhängigkeitserklärung übernommenen Grundsatz fußten, daß ›alle Menschen gleich erschaffen‹ waren, was die Schlaflosen eindeutig nicht einschloß. Es gab keinen Schlaflosen im Umkreis von zweihundert Kilometern, und seit zehn Jahren hatte in Salt Springs niemand um eine Alkoholkonzession angesucht, aber die Meldung wurde von United Press und Datanet News aufgegriffen, und nach vierundzwanzig Stunden erschienen im ganzen Land die ersten hitzigen Leitartikel, die die Sache pro und kontra erörterten.
Worauf es zu weiteren lokalen Verordnungen kam. In Pollux, Pennsylvania, durften Schlaflose als Wohnungsmieter abgewiesen werden, weil ihr anhaltender Wachzustand für den Vermieter eine verstärkte Abnutzung seines Eigentums, sowie erhöhte Nebenausgaben mit sich bringen würde. In Cranston Estates, Kalifornien, war es Schlaflosen verboten, Unternehmen zu betreiben, die ihre Dienste rund um die Uhr anboten: ›unlauterer Wettbewerb‹. In Iroquois County, New York, waren Schlaflose nicht als Geschworene zugelassen; die Begründung: Eine Geschworenenbank, der Schlaflose mit ihrem verzerrten Zeitbegriff angehörten, stelle für den Angeklagten keine ›Rechtsprechung durch Ebenbürtige‹ dar.
»Ich bin sicher, all diese Gesetze werden von den höheren Instanzen abgelehnt«, sagte Leisha. »Aber, lieber Himmel, was für eine Vergeudung von Geld und Gerichtszeit, bis es soweit ist!« Halb unbewußt nahm sie wahr, daß ihr Tonfall, als sie das sagte, dem von Roger Camden aufs Haar glich.
Der Staat Georgia, wo gewisse Varianten des Geschlechtsverkehrs auch unter
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