Bettler 01 - Bettler in Spanien
tanzendem Licht.
Stewart sprach weiter. »Ihr habt hier auch eine Menge Unterstützung in diesem albernen Behördengerangel wegen der Baugenehmigungen für Sanctuary. Vielleicht ist euch das gar nicht bewußt, aber es ist so. Wie der Nationalparkausschuß die Sache drehen will, ist… Aber er wird nur als Fassade benutzt. Das ist euch sicher klar. Sollte das Ganze vor Gericht gehen, habt ihr jedenfalls alle Hilfe, die ihr braucht.«
»Mit Sanctuary habe ich nichts zu tun. Gar nichts.«
»Nein? Nun, es bezog sich ja nicht auf dich persönlich. Ich meinte euch alle.«
»Trotzdem danke. Ehrlich. Wie geht’s dir denn so«
»Ausgezeichnet. Ich bin Vater geworden.«
»Tatsächlich? Junge oder Mädchen?«
»Mädchen. Ein hübscher kleiner Käfer namens Justine. Bin ganz verrückt nach ihr. Ich möchte, daß du bald einmal meine Frau kennenlernst, Leisha.«
»Ja, gern«, sagte Leisha.
Den Rest der Nacht verbrachte sie mit dem Studium für die Prüfung. Die Kugel aus tanzendem Licht blieb zurück. Leisha wußte genau, was es war: Freude.
Alles würde glattgehen. Der ungeschriebene Vertrag zwischen ihr und der Gesellschaft – Kenzo Yagais Gesellschaft, Roger Camdens Gesellschaft – würde halten. Begleitet von Uneinigkeit und Zwist und ja, auch einigem Haß. Plötzlich dachte sie an Tonys Bettler in Spanien und ihre Wut auf die Starken, weil sie selbst nicht stark waren. Ja. Aber der Vertrag würde halten.
Davon war sie überzeugt.
Ganz fest.
7
Leisha legte im Juli ihre Zulassungsprüfung ab; sie hatte keinerlei Schwierigkeiten damit. Hinterher unternahmen drei Studienkollegen, zwei junge Männer und ein Mädchen, einen gewollt zwanglos wirkenden Versuch, mit ihr ins Gespräch zu kommen, bis sie sich endlich in ein Taxi flüchten konnte, dessen Fahrer weder sie noch Stopschilder zu kennen schien. Die drei Zurückgebliebenen waren alles Schläfer. Die beiden glattrasierten blonden Studenten hatten jene langen Pferdegesichter der Ostküstenaristokratie und jene nichtssagende Arroganz, die üblicherweise mit steinreicher Dummheit einherging; sie gönnten Leisha einen letzten Blick und grinsten dem Mädchen abfällig zu. Das Mädchen grinste zurück.
Für den nächsten Morgen hatte Leisha einen Flug nach Chicago gebucht. Alice wollte dort mit ihr zusammentreffen, um das große Haus am See auszuräumen, Roger Camdens persönliche Dinge wegbringen zu lassen und das Haus zum Verkauf auszuschreiben. Bisher hatte Leisha keine Zeit dazu gehabt.
Sie dachte an ihren Vater, wie er mit einer uralten, flachen, von irgendwo mitgebrachten Kappe auf dem Kopf im Gewächshaus seine Orchideen und Passionsblumen und den Jasmin von einem Topf in den andern gehoben hatte.
Als die Türglocke schrillte, erschrak sie; Besucher waren äußerst selten. Eilig schaltete sie die Außenkamera ein – vielleicht waren es Jonathan und Martha, die nach Boston kamen, um sie zu überraschen und mit ihr zu feiern! Warum hatte sie nur vergessen, irgendeine kleine Feier vorzubereiten?
Richard stand draußen und starrte in die Kamera hoch. Er hatte geweint.
Sie riß die Tür auf, aber Richard machte keine Anstalten einzutreten. Jetzt sah Leisha, daß das, was die Kamera ihr als Trauer übermittelt hatte, in Wahrheit Tränen des Zorns waren.
»Tony ist tot!«
Leisha streckte blindlings die Hand aus, aber Richard ergriff sie nicht.
»Sie haben ihn im Gefängnis erschlagen. Nicht die Obrigkeiten. Die anderen Häftlinge. Im Gefängnishof. Mörder, Vergewaltiger, Plünderer, der Abschaum dieser Erde – und sie dachten, sie hätten das Recht, ihn umzubringen, weil er anders war!«
Jetzt packte Richard sie am Arm, so fest, daß irgend etwas, ein Knochen vermutlich, sich unter dem Muskel ein wenig verschob und auf einen Nerv drückte. »Nicht bloß anders – besser! Weil er besser war! Weil wir alle besser sind und uns nur deshalb nicht aufblasen und es herausschreien, weil wir aus irgendeinem unangebrachten Zartgefühl heraus auf ihre Gefühle Rücksicht nehmen… Mein Gott!«
Leisha konnte endlich ihren Arm freibekommen und massierte die taube Stelle, ohne den Blick von Richards verzerrtem Gesicht zu wenden.
»Sie haben ihn mit einem Bleirohr zu Tode geprügelt! Keiner hat eine Ahnung, wie sie an das Bleirohr herankamen. Sie schlugen ihn auf den Hinterkopf, und dann drehten sie ihn herum und haben ihn…«
»Nicht!« sagte Leisha. Es klang wie ein Wimmern.
Richard sah sie an. Trotz seines wilden Geschreis und des gewaltsamen
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