Bettler 01 - Bettler in Spanien
ebensowenig wie es die Anklage bei der Befolgung der Richtlinien für die Beweisführung tun wird!«
Jedes einzelne Augenpaar im Gerichtssaal – ob es nun einem Schläfer, Schlaflosen, Reporter, Tagträumer, Zweifler, blindwütigen Eiferer oder mit Scheuklappen Geschlagenem gehörte – richtete sich auf Richter Deepford, der keinen Moment zögerte: offenbar hatte er diese Entscheidung schon vor Prozeßbeginn überdacht und getroffen. »Ich lasse es zu«, erklärte er mit ruhiger Stimme und wich damit beträchtlich von seinem eigenen Ruf ab; er wollte sichtlich klar erkennen lassen, wieviel Spielraum er Sandaleros zugestehen würde, um jeden Anschein von Voreingenommenheit in seinem Gerichtssaal zu vermeiden. Leisha entdeckte, daß die Nägel ihrer rechten Hand sich ins Fleisch der linken gruben. Sie roch eine Falle…
»Euer Ehren«, begann Hossack sehr beherrscht.
»Einspruch abgelehnt, Mister Hossack. Mister Sandaleros, fahren Sie fort.«
»Jennifer Sharifi ist Schlaflose, ich bin Schlafloser«, wiederholte Sandaleros. »Dies ist der Prozeß gegen eine Schlaflose, die des Mordes an einem Schläfer angeklagt ist, weil sie eine Schlaflose ist…«
»Einspruch! Die Angeklagte wurde nach einer Prüfung der Beweislage durch die Anklagekammer vor Gericht gestellt!«
Alle sahen Hossack an, und Leisha merkte genau, in welcher Sekunde ihm klar wurde, daß er Sandaleros in die Hände gespielt hatte. Egal, wie die Beweislage aussah, jeder im Gerichtssaal wußte, daß die dreiundzwanzig Schläfer der Anklagekammer Jennifer Sharifi genau deshalb vor Gericht gestellt hatten: weil sie eine Schlaflose war. Angst, nicht die Beweislage, hatte sie unter Anklage gestellt. Und indem er das in Abrede gestellt hatte, sah Hossack entweder dumm oder unehrlich aus. Ein Mann, der unfähig war, eine häßliche Realität beim Namen zu nennen. Ein Mann, dessen Behauptungen man in Zweifel ziehen sollte.
Hossack hatte soeben erlebt, wie man seinen eigenen Sinn für Fairness und Gerechtigkeit gegen ihn verwendet hatte, um ihn als heuchlerischen, unredlichen Esel hinzustellen.
Jennifer Sharifi zeigte nicht die geringste Regung.
Als erste Zeugen wurden Leute aufgerufen, die sich am Schauplatz von Timothy Herlingers Tod befunden hatten. Hossack ließ eine buntgemischte Auswahl von Polizisten, Fußgängern und die Fahrerin des Wagens aufmarschieren, letztere eine nervöse, magere Frau, die kaum die Tränen zurückhalten konnte. Durch ihre gesammelten Aussagen wies Hossack nach, daß Herlinger die erlaubte Höchstgeschwindigkeit überschritten hatte, eine scharfe Linkskurve genommen und sich offenbar dabei wie die meisten Rollerfahrer völlig auf den Y-Energie-Deflektorschild verlassen hatte, der automatisch dafür sorgte, daß der vorgeschriebene Viertelmeter Mindestabstand von jedem Hindernis eingehalten wurde. Zu seinem Verhängnis, wie sich herausstellen sollte. Er war frontal in die Tür des von Miss Stacy Hillman gelenkten Straßenwagens gekracht, der bereits angefahren war, als der Verkehrsstrom umgeschaltet worden war. Herlinger hatte gewohnheitsmäßig keinen Helm getragen; die Deflektoren machten Helme überflüssig. Er war auf der Stelle tot gewesen.
Der Roboter des Straßenpolizeiteams hatte eine äußerliche Überprüfung des Motorrollers durchgeführt und den fehlerhaften Deflektor nicht entdeckt – oder, besser, er hatte den Roller als einwandfrei funktionierend bezeichnet, weil Deflektoren niemals versagten und eine solche Möglichkeit daher auch nicht in seiner Programmierung aufschien. Das stand jedoch derart in Widerspruch zu den Angaben der Augenzeugen, daß ein Polizist den Roller bestiegen, ihn vorsichtig gefahren und dabei das Versagen des Deflektors selbst entdeckt hatte. Daraufhin war der Roller zur Erstellung eines Fachgutachtens ins Forensische Institut, Abteilung Energie, gebracht worden.
Ellen Kassabian, die Leiterin von Forensik, Abt. Energie, war eine große, breite Frau mit jener langsamen, unerschütterlichen Art zu sprechen, die auf Geschworene kompetent wirkte, unter der sich jedoch, das wußte Leisha, auch einfach nur halsstarrige, verbissene Inflexibilität verbergen konnte. Hossack befragte sie eingehend über den Roller.
»In welcher Weise wurde an dem Deflektorschild manipuliert?«
»Der Schild war so reguliert, daß es bei der ersten Berührung mit einem Hindernis bei einer Geschwindigkeit von mehr als fünfundzwanzig Stundenkilometern zu einem Versagen kommen mußte.«
»Ist dies ein
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